Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
hatte einen deutlich faden Beigeschmack gehabt.
Im Begriff, den Raum zu betreten, in dem sich Truhen mit Kleidern und wertvollen Gegenständen befanden, entdeckte sie eine Gestalt, die sich über eine offene Truhe beugte. Es handelte sich um eine ihrer Schatzkisten; offensichtlich hatte sie vergessen, sie abzuschließen. Darin bewahrte sie eine erlesene Sammlung wertvollen Schmucks auf, die ihr das Gefühl gab, reich und bedeutend zu sein. Bei jedem einzelnen Stück wusste sie noch genau, von welchem Herzog oder Bischof sie es erhalten hatte. Alle diese Männer hofften, sich mit solchen Geschenken Einfluss auf den König zu erkaufen. Ein schönes Spiel.
Die junge Person, die sich tief über die Truhe neigte, hatte sie anscheinend immer noch nicht bemerkt. Es war eine eisenbeschlagene Truhe mit einem schweren Deckel. Inzwischen hatte Fredegund begriffen, wer sich über ihre Schätze hermachte, und ein maßloser Zorn flammte in ihr auf. In ihm verdichtete sich alles, was ihr in den letzten zähen Monaten quer gekommen war. Mit wenigen Schritten hatte sie die Truhe erreicht. Sie packte den Deckel mit beiden Händen, den gebeugten, ungeschützten Nacken vor ihr im Visier.
„Nein!“
Der Schrei fuhr ihr in alle Glieder. Schmerzhaft herausgerissen aus ihrer Anspannung, wandte sie sich aufgebracht um und war sich nur allzu bewusst, dass sie vor Wut rote Flecken im Gesicht hatte.
Ausgerechnet Chlodowech stand in der Tür, glotzte sie ungläubig an und deutete mit einem Finger auf sie, während aus seinem Blick geradezu Flammen schlugen. „Du verkommenes Weibsstück! Du schreckst nicht mal davor zurück, dein eigenes Kind ...“ Er brach ab.
Chlodowech war seinem Vater von allen Söhnen am ähnlichsten. Das hieß, er strotzte vor Kraft und Selbstbewusstsein und sah auch noch so gut aus wie Chilperich zu jener Zeit, als Fredegund ihn sich geangelt hatte. Leider ließ er sich aber nicht ebenso leicht um den Finger wickeln. Und seit Merowechs Tod wollte er erst recht nichts mehr mit ihr zu tun haben und mied sie, wo er nur konnte. Es schien ihn sogar Überwindung zu kosten, sich im selben Raum mit ihr zu befinden und ihr nicht an die Gurgel zu fahren. Vielleicht gab er seine Hemmung gerade auf.
Dennoch machte es Spaß, ihn so fassungslos zu sehen. Dieser Kerl, der selbst stets geradlinig in seiner Gewalttätigkeit war, hatte weiche Knie bekommen.
„Ja, was denn?“, fuhr sie ihn an.
„Du wolltest deiner Tochter den Truhendeckel auf den Nacken knallen!“, bellte er.
„Nein, wieso denn auch?“
„Mutter!“, schrie Rigunth, die gerade erst begriff, in welcher Gefahr sie sich befunden hatte. Sie sprang auf und stolperte rückwärts, die Arme abwehrend ausgestreckt.
„Jetzt beruhige dich bloß“, sagte Fredegund beherrscht und schloss so behutsam wie möglich die Truhe, obwohl es ihr noch in den Armen vor Verlangen zuckte, den Deckel mit aller Kraft hinabzuschmettern. Nur um den Knall zu hören. Wäre Chlodowech nicht aufgetaucht, hätte sie Rigunth wahrscheinlich das Genick gebrochen, stellte sie einigermaßen ernüchtert fest. „Was willst du? Was machst du hier?“, fragte sie ihn giftig. Ein wenig stand sie immer noch neben sich.
Hätte sie wirklich ... ihre eigene Tochter? Wäre sie so weit gegangen, dieses gierige kleine Luder ...?
„Die Tür stand offen, und ich hab genau gesehen, wie du ...“, brauste er wieder auf und ließ den Blick zwischen ihr und Rigunth hin- und herschweifen, die Hände zu Fäusten geballt, die sich unablässig öffneten und schlossen.
Würde er es wagen, sie anzugreifen?, fragte sich Fredegund.
Mochte er seine Halbschwester überhaupt? Darüber hatte sie sich noch nie Gedanken gemacht. Viel gemeinsam hatten die beiden ja nicht. Sie waren weder im gleichen Alter noch zusammen aufgewachsen. Das brachte die Herumreiserei des Hofs in den Sommermonaten mit sich, während dieser Zeit hatte Fredegund ihre Kinder meist in Tournai oder an einem anderen abgelegenen und sicheren Ort zurückgelassen, vor allem die Jungen. Die waren am meisten gefährdet.
„Nichts hast du gesehen! Gibt es etwas, was dich hier festhält?“
Was wollte er überhaupt hier? War er auf der Suche nach seiner kleinen Geliebten? Hatte er noch diese freche Magd mit den großen Brüsten?
Nichts regte sich in seinem erstarrten Gesicht. Hatte er auf einmal Angst vor ihr?
Dabei hatte sie gelegentlich Angst vor ihm. Aber noch nicht soviel, dass sie ihn unbedingt aus dem Weg zu schaffen hatte. Wenn, dann musste
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