Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman

sich gedulden. 
    „Was ich noch vergessen habe: Samur, der Aware, war wieder hier“, sagte Pontus auf einmal. „Tatsächlich tauchte er kurz vor Wandalenus auf. Wie konnte ich das vergessen? Er erwähnte Fortunatus, also hat er ihn vermutlich irgendwo hinter Orléans getroffen und von ihm erfahren, dass du gefallen bist. Uns gegenüber hat Samur das verschwiegen, aber er behauptete, die blauen Pferde gehörten ihm. Ich hab sie ihm überlassen. War das falsch? Ich hatte nie den Eindruck, dass du dir was aus ihnen machst.“
    Zu Pontus Überraschung lachte Wittiges laut auf. „Nein, es war das Beste, was du tun konntest. Es kommt mir so vor, als wäre ich nun wirklich frei von den Dämonen, die mich fast zwei lange bittere Jahre drangsaliert haben.“
    4
    Auf ihren ausdrücklichen Befehl hin musste Wittiges Brunichild und Gogo nach Metz begleiten, was ihm nicht ganz ungelegen kam. Denn er wollte noch immer Wandalenus zur Rechenschaft ziehen, erlebte aber die Niederlage, die Gogo schon befürchtet hatte. Die Sache wurde im Rat vorgetragen, und etliche der Mitglieder schlugen sich auf Wandalenus’ Seite, nicht im Geringsten im Zweifel, dass der comes richtig gehandelt hatte. Am Ende musste Wittiges noch froh sein, dass sich der windige Kerl nach langem Zögern bereit erklärte, anstelle der eigentlichen Übeltäter eine kleine Wiedergutmachung zu leisten, die bei genauer Betrachtung ein Witz war. Die Summe deckte nicht einmal die Kosten zum Wiederaufbau auch nur eines Grubenhauses. Zum Hauptschuldiger wurde auf der Versammlung der Anführer des Krawalltrupps erklärt, der Theodos Hof überfallen und in Brand gesetzt hatte. Leider war der Mann nicht greifbar, denn er war mit den anderen Beteiligen in den Süden abkommandiert worden, um den comes von Albi zu unterstützen, der in Schwierigkeiten geraten war. Schwierigkeiten mit Cahors, das zu Chilperichs Herrschaftsbereich gehörte. Dann hob ein Klagen über Unruhen und Kleinkriege an, und der abgebrannte Hof war vergessen.
    Wittiges hatte das beklemmende Gefühl, die Welt nicht mehr zu verstehen. Später saß er mit Gogo in dessen Amtszimmer zusammen, einem großen, karg eingerichteten Raum mit Blick auf die Mosel. Auf einigen schmalen Tischen häuften sich Eingaben, Botschaften und Urkunden, so wie sie die Schreiber nach der Tagesarbeit hinterlassen hatten.
    „Erklär mir, was ich nicht begreife“, bat Wittiges, erschöpft von dem Versuch, während der ganzen langwierigen Verhandlung seinen Zorn zu beherrschen.
    „Das kommt davon, dass du dich zu wenig im Rat blicken lässt, vor allem in letzter Zeit. Die Politik wird feinfühlig.“
    „Soll das heißen, wir schlagen nicht mehr zu und sehen erst später nach, wer uns in den Weg gelaufen ist?“
    „Genau das“, antwortete Gogo gequält und drehte das eine Auge zur Decke.
    „Und Wandalenus gehört zu denen, die die neue Politik vertreten?“
    „Er hat sie erfunden.“
    Wittiges hielt sich die Versammlung nochmals vor Augen. Es waren einige neue Gesichter darunter gewesen, junge Männer mit großspurigem Auftreten, mit klimpernden Silberarmreifen und überaus prächtigen Waffen. Solche geschniegelten Kerle unterschieden sich deutlich von den älteren Mitgliedern. Etliche Ratsmitglieder, die Wittiges vermisste, waren in den langen Monaten seiner Abwesenheit Krankheiten oder Intrigen zum Opfer gefallen. Es waren zum Teil ihre Söhne, die nun ihre Stellung einnahmen. Sie sahen vieles völlig anders.
    „Er hat eine ganz hübsche Gefolgschaft um sich geschart. Hat er die alle mit vermögenden Witwen und Waisen versorgt? Ich dachte, es sei nur eine persönliche Vorliebe von ihm, sich deren Vermögen unter den Nagel zu reißen, aber da hab ich mich anscheinend geirrt. Er ist zum Teilen übergegangen oder zum Verteilen.“
    Gogo seufzte tief auf. „Ich werde zu alt für so was. Wandalenus tritt dafür ein, sich mit dem Feind gutzustellen, damit die Kriege endlich aufhören. Viele pflichten ihm bei. Sie waren noch nutriti , als Sigibert ermordet wurde, und wollen von den alten Geschichten nichts mehr hören. Mehr als ihre Väter zeichnet sie vor allem Raffgier und Machtgelüste aus.“
    Einigen dieser ehemaligen nutriti ging Wittiges auf, hatte er vor Jahren wahrscheinlich das Kämpfen beigebracht, daher war ihm das eine oder andere Gesicht vage bekannt vorgekommen.
    „Das heißt, Wandalenus plant ein Bündnis mit Chilperich? Will er sich in Neustrien um vermögende Witwen kümmern, oder was springt für ihn dabei