Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
dass er an seinen Entbehrungen gestorben ist. Und so war es auch. Sein Geist war verwirrt, und eigentlich war er schon lange ein gebrochener, zerstörter Mensch. Das begann vor vielen Jahren, in Toledo, als man ihm als Zehnjährigen Gewalt antat. Vergiss nicht, dass ich ihn fast so lange kannte wie du selbst. Ihn hat hier nichts mehr gehalten.“
„Wir hätten ihn gestern Abend nicht so hart rannehmen dürfen.“
Pontus seufzte. „Vielleicht. Ich bin sicher, wir werden uns mit dieser Schuld quälen, wie wir uns immer mit Schuld quälen, wenn jemand stirbt, der uns etwas bedeutet hat. Aber jetzt müssen wir an Felix denken und wie es mit ihm weitergehen soll.“
„Ja, ich weiß, was ich tun muss.“
Sie beteten gemeinsam für den Toten, bevor sie die Scheune verließen und dafür sorgten, dass Alexander in der Kapelle aufgebahrt wurde. Drei Tage später wurde er in einer schlichten Zeremonie an Alethas Seite in der neuen Gruft beigesetzt. Felix nahm an der Trauerfeier teil, und Wittiges fragte sich besorgt, wie er diesen neuen Verlust verkraften würde. Äußerlich ließ er sich wenig anmerken, sein Gesicht zeigte nur eine beunruhigende Leere. Wittiges hatte mit ihm über Alexanders Ende gesprochen, war aber nicht dahintergekommen, was er über seinen Onkel dachte. Sie hatten zwei Jahre in einer engen Schicksalsgemeinschaft verbracht. Wusste Felix, dass Alexander mitverantwortlich für all das Leid war, das er hatte erdulden müssen?
Nachdem die Gruft geschlossen, das letzte Gebet gesprochen war und sich die Hausgemeinschaft zerstreut hatte, nahm er ihn beiseite.
„Es tut mir leid um ihn“, sagte Wittiges.
„Mir auch“, erwiderte Felix.
„Und es ist schade um ihn. Ich hab ihn gemocht, weißt du?“
Felix rührte sich nicht. „Ich hab ihn in den letzten zwei Jahren oft gehasst und oft genug verflucht“, sagte er langsam. „Aber das ist nun vorbei.“ Er hob die Schultern und ging davon, und alles deutete darauf hin, dass er die Last der Vergangenheit, die auf ihm ruhte, allein tragen wollte.
In diesem Moment erinnerte sich Wittiges an den Heiligen. Er hatte ihn nicht mehr gesehen, und das beunruhigte ihn. Es schien ihm ein Lebensalter her, dass der wirre Kerl in einer kalten Weihnachtsnacht seine düsteren Prophezeiungen ausgesprochen hatte. Wittiges entsann sich, dass von Unglück und Tod die Rede gewesen war. Davon hatte er nun genug erlebt.
Pontus löschte gerade die Kerzen am Altar.
„Was hast du mit dem Heiligen gemacht?“, fragte er ihn.
„Ich habe ihm ein Geleit in ein Kloster seiner Wahl angeboten, zusammen mit einer großzügigen Spende.“
„Das glaube ich nicht“, sagte Wittiges gequält.
„Vermisst du nicht die silbernen Leuchter?“ Pontus deutete auf den Altar. „Das war die Spende. Damit macht er sich bei jedem Abt beliebt. Der Heilige war sofort einverstanden, hat aber eine Begleitung in ein Kloster abgelehnt. Ich denke, wir sind ihn los.“
„Erst wolltest du die Leuchter für die Kapelle haben, dann schenkst du sie weg.“ Im Grunde genommen war Wittiges der Verlust gleichgültig. Er hatte nicht an ihnen gehangen, dann fiel ihm ein, dass Pontus sowieso keinen Wert auf etwas legte, die sich weder essen ließ noch einem anderen nützlichen Zweck diente. Selbst wenn es sich um geweihte Gegenstände handelte, für ihn lag Heiligkeit nicht im Materiellen.
Um für einen Neuanfang ohne Unklarheiten zu sorgen, bat Wittiges Ulf und Felix am nächsten Tag in sein Kontor, wo er vorher eine Stunde zugebracht und eine Urkunde aufgesetzt hatte. Viola und Chramm fanden sich auf seine Bitte ebenfalls ein, und Pontus brachte Agnes mit.
Sobald alle versammelt waren, wandte sich Wittiges ernst und feierlich an die beiden Jungen. Es wurde eng in dem kleinen Raum. Alle standen bis auf Viola, die sich, einen Säugling auf dem Schoß, auf einen der beiden vorhandenen Stühle gesetzt hatte. Chramm lehnte an der Wand, den anderen Zwilling auf dem Arm. Den Sohn wahrscheinlich.
Auf dem Schreibpult brannte eine Kerze neben einem kleinen, schlichten Holzkreuz, das Pontus aus der Kapelle mitgebracht hatte.
Beiden Jungen legte Wittiges eine Hand auf die Schulter. „Ich erkläre hier vor Gott und den anwesenden Zeugen, dass es mein unumstößlicher Wille ist, euch als meine gleichberechtigten Söhne und Erben anzuerkennen, mit allen Rechten und Pflichten. Noch heute wird die Urkunde, die ich aufgesetzt habe, von den Zeugen unterzeichnet, gesiegelt und nach Reims in die königliche Kanzlei
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