Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
„Dann wasch ich mich erst mal. Das heißt, bring mir einen Becher Wein. Ich bin durstig, das Waschen kann warten“, wandte er sich an die Hausmagd, die hinter ihm in der Tür zu sehen war.
Pontus war der Verwalter von casa alba , ein Mann, der bereits viele Leben gelebt hatte, eines als Krieger, eines als Klosterbruder, eines als Wanderheiliger. Eine letzte Schicksalswende hatte ihn vor elf Jahren mit Wittiges von Marseille bis hierhergeführt, und hier, in casa alba , hatte er seine wahre Berufung gefunden. Pontus liebte Menschen, aber besonders Kinder, dazu Pferde, Rinder, Hunde und Katzen, einfach alles, was kreuchte und fleuchte und kein Korn von den Feldern fraß. Er liebte Gottes freie Natur und das, was der Mensch daraus zu machen vermochte. Unter seiner Leitung gedieh das Gut vortrefflich. Aus seiner Mönchszeit hatte er eine Vorliebe für graue oder braune Kutten, einen kurzen Haarschnitt und ein bartloses Kinn behalten, alles Zeichen, dass er auf Äußerlichkeiten nicht den geringsten Wert legte. Auch kümmerte es ihn sichtlich nicht, welchen Eindruck er auf die vornehmen Besucher des Hauses machte.
„Du bist Wandalenus, hab ich von den Knechten draußen gehört“, wandte er sich lässig an den comes . „Der neue Befehlshaber von Metz. Ich bin Pontus, Verwalter und Bevollmächtigter von Wittiges in dessen Abwesenheit.“ Pontus angelte sich mit dem Fuß einen Stuhl heran, nahm Platz und streckte die Beine von sich. Über den kostbaren Mosaikboden, der noch aus der Römerzeit stammte, zog sich bis zu seinem Stuhl eine Schmutzspur.
„Aletha, einer der Falben hatte heute morgen eine Kolik. Ich nehme an, irgendwelche Bengel haben die Pferde wieder mit halb verfaulten Äpfeln gefüttert. Wenn ich einen von denen erwische, reiß ich ihm die Ohren ab.“
Um Alethas Mundwinkel zuckte es. Sie wusste genau, was Pontus mit seinem rüpelhaften Auftritt bezweckte. Er gab ihr Schutz und machte den Besuchern klar, dass sie, welch hohen Ranges auch immer sie waren, hier in Wahrheit nichts zu melden hatten. Über diesen Hof, über diese Familie wachte er, nichts geschah ohne seine Einwilligung.
„Pontus, ich muss wieder nach Metz“, meldete sich Felix bekümmert.
Rasch tauschte Pontus einen Blick mit Aletha aus. Sie nickte unmerklich.
Pontus winkte den Jungen zu sich. „Wunderbar! Da lernst du Manieren, du besuchst die Palastschule und misst dich mit den anderen Jungen im Schwertkampf. Wenn ich mich recht erinnere, hab ich dich heute Morgen noch frisch gekämmt und sauber gekleidet gesehen, aber schau dich jetzt an. Zwei Tage hier, und schon ist aus dem Edelknaben ein Bauernbalg geworden.“
Felix’ Augen verschleierten sich vor Enttäuschung und Leid.
„Ich denke, es wird Zeit“, meldete sich Wandalenus.
„Metz werdet ihr heute nicht mehr erreichen“, wandte Pontus ein und zog Felix unauffällig zu sich heran. „Besser, ihr verbringt die Nacht hier. Was soll diese Hast? Im Haus gibt es Platz genug für alle.“
Ausdruckslos ließ Wandalenus den Blick über die Fresken schweifen, die die Wände zierten, außergewöhnlich schöne Fresken, die heitere Gartenszenen zeigten, und weiter zum säulenbestandenen Innenhof mit dem großen rechteckigen Wasserbecken und den beiden marmornen Springbrunnen an den Schmalseiten, auf den der Saal hinausging. In der Umgebung von Reims gab es nicht viele derart luxuriöse Häuser aus alter Zeit. Von den ursprünglichen Gebäuden war noch so viel erhalten geblieben, dass sich ein Besucher leicht in den vielen Gängen, Räumen und Innenhöfen verlaufen konnte.
Einiges war in den letzten Kriegen schwer beschädigt worden und längst nicht alles wieder instand gesetzt, aber dieser kleine Saal erstrahlte beinahe makellos in der alten Pracht. Die taxierende Art, wie der comes sich umsah, machte Aletha unruhig, sie wusste selbst nicht, warum. Wandalenus hatte ihr, während er auf Felix gewartet hatte, einige Fragen über das Gut gestellt und auch den Garten sehen wollen.
„Danke für die Einladung“, entgegnete er abweisend. „Ich bin für gewöhnlich nicht der Aufpasser eines kleinen Jungen, aber mein Weg führte mich fast an diesem Haus vorbei, von dem ich schon einiges gehört habe. Die Berichte haben nicht übertrieben. Nein, wir reiten heute noch bis Reims. Die drei, vier Stunden Tageslicht, die uns verbleiben, reichen dazu. Wir übernachten im Palast, und morgen in aller Herrgottsfrühe geht’s weiter. Also, Junge, spute dich. Bertho kann es gar nicht erwarten,
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