Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
Ratlosigkeit. Währenddessen lief Merowech unruhig hin und her, die Arme hinter dem Rücken gekreuzt. Bestimmt hatte ihn sein eigener Mut ebenso überrascht wie Fredegund. Fraglich war, wie lange dieser Mut anhielt. Sie rechnete damit, dass er bei der nächsten harschen Bemerkung seines Vaters kuschte, wie er es bisher immer getan hatte, wenn er mit dem Zorn seines Vaters direkt konfrontiert war.
„Wir kommst du auf Guntram?“, murmelte Chilperich stattdessen.
Guntram war der König von Frankoburgund und der älteste der königlichen Brüder. Oft genug gab seine Meinung bei Streitigkeiten den Ausschlag. Nach Gailswinthas gewaltsamen Tod hatte er verfügt, dass Chilperich die fünf Städte, die er seiner jungen Gemahlin als Morgengabe überschrieben hatte, Brunichild als Wergeld überlassen müsse. Das war nicht mehr und nicht weniger als ein Schuldspruch gewesen. Darüber war Chilperich noch nicht hinweggekommen, und natürlich hatte er die Städte nicht herausgerückt.
Chilperich hob den Kopf und sah Fredegund aus blutunterlaufenen Augen an. „Gerade ist ein Bote Guntrams eingetroffen. Mein hehrer Bruder lädt zur Beerdigung seines Sohnes nach Chalons ein“, teilte er mit ausdrucksloser Stimme mit.
„Zur Grablege des letzten, den er noch hatte?“, fragte Fredegund. „Seine Bastarde zählen ja nicht.“
Chilperich schüttelte den Kopf. „Er hat nicht mal welche, zumindest keine, von denen ich weiß. Nein, es gibt keinen Erben mehr.“
Das schöne und reiche Burgund hatte schon immer Begehrlichkeiten geweckt. Es war eine alte Provinz, die schon unter den Römern blühte, und die einmal – es war noch nicht so lange her – ein eigenständiges burgundisches Reich mit einem burgundischen König gewesen war, bevor die Franken es eroberten.
Dieses Land zu besitzen, hieß den Schlüssel zu Reichtum und Macht in der Hand zu halten. Alle jene ausgedehnten Gebiete östlich des Rheins, das Erbe des kleinen Bertho, mit den lästigen Alamannen, den wilden Sachsen, Sueben und Thüringern, die wie die Schweine im Dreck hausten, waren nichts dagegen. Wer Frankoburgund erbte, konnte fast mit dem Reich von Byzanz mithalten, dem strahlenden Zentrum kaiserlicher Macht. Beinahe war Chilperich geneigt, dem kleinen Bertho augenblicklich Poitiers zu überlassen, schließlich stand eine fettere Beute in Aussicht. Aber mit Poitiers war Tours verbunden, und beide zusammen waren so etwas wie das Tor zu seinen Provinzen im Süden. Träge wandte er sich wieder Merowech zu.
„Du gehst nach Poitiers und machst klar, wer dort der Herr ist. Und komm mir nicht noch einmal mit Haarspaltereien. Poitiers gehört jetzt mir, ebenso wie Tours. Ich lass mir die Städte nicht streitig machen, auch nicht von Guntram.“
„Und Guntrams Erbe? Er wird einen Erben bestimmen müssen“, warf Fredegund seidenweich ein. Nachdenklich betrachtete sie Merowech. Nein, wenn überhaupt, würde Guntram Chlodowech als Erben einsetzen, schließlich war er der älteste Sohn Chilperichs. Andererseits könnte nach dem alten Anwachsungsrecht, dem Erbrecht unter Brüdern, auch Chilperich selbst Anspruch auf das Erbe erheben. Am allerwenigsten käme Guntram wahrscheinlich auf die Idee, einen der beiden kleinen Söhne Fredegunds zu erwählen, mutmaßte sie. Aber man konnte nie wissen.
„Wirst du zur Beerdigung reisen?“, fragte sie Chilperich.
„Nicht solange die Synode tagt“, antwortete er und warf seinem Sohn einen finsteren Blick zu.
„Warum ist diese Synode so wichtig? Was kümmern dich die Streitfälle in den Diözesen? Worum geht’s denn diesmal? Um die unrechtmäßige Neubesetzung von Bischofsstühlen? Exkommunikation für Räuber von Kirchengut?“ Sie zwinkerte.
Natürlich würde es wieder Anschuldigungen gegen ihn geben, denn sie wusste, dass er in den letzten zwei Jahren etliche Testamente kassiert hatte, die von den Erblassern nicht ordentlich bei den zuständigen Behörden registriert worden waren. Sobald das Testament vernichtet war, fiel der Besitz an die Krone. Männer, die keine natürlichen Erben hatten, pflegten nur allzu oft der Kirche erhebliche Summen und große Ländereien zu vermachen, wodurch sich zu viel Macht und Reichtum in Händen der Bischöfe anhäuften, eine wachsende Gefahr für Chilperichs eigene Herrschaft. Aber er und die Bischöfe kamen ohne gegenseitige Unterstützung nicht aus, da jene einen Großteil der Verwaltungsarbeit in den Provinzen übernommen hatten, in ewigem Streit mit den comites und duces .
„Ich
Weitere Kostenlose Bücher