Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
und Bart, der ihn hohläugig anstarrte und den Mund weit öffnete, als wollte er um Hilfe schreien.
„Ich tu dir nichts“, zischte Wittiges. Sie standen in einem engen Flur, der auf einen Innenhof führen musste. Irgendwo in diesem Hof gab es eine Treppe nach oben, und von dort waren gedämpfte Schreie zu hören, bei denen der Händler zusammenzuckte.
Wittiges sprach schnell weiter. „Verzeih, wenn ich dich erschreckt habe. Ich bin Wittiges, ...“
„Du bist Wittiges“, fiel ihm der Mann aufatmend ins Wort und packte ihn mit überraschend festem Griff am Umhang. „Wittiges aus Reims! Jetzt erkenne ich dich. Was suchst du hier?“
Wittiges war der Mann fremd, aber dem Gehabe nach schien dieser nun ein Zeichen des Wiedererkennens zu erwarten. „Hatten wir mal Geschäfte miteinander ...?“, murmelte er. Wer schrie da? Es musste eine Frau sein, eine Frau, die große Schmerzen litt.
„Aber ja, aber ja doch! Als ich noch in Reims lebte, aber das ist Jahre her, da hast du ...“ Der Mann brach ab und lauschte. „Meine Frau verbrennt im Fieber“, flüsterte er. „Ich weiß mir keinen Rat mehr. Schon vor Stunden hab ich nach einem Heilkundigen geschickt, aber er kommt nicht.“
Das Gesicht kam Wittiges nun doch vage bekannt vor. Der Mann handelte mit Rohleder, fiel ihm ein. Er hatte einmal Häute von Wildtieren an ihn verkauft, die von einer großen Jagd in seinen Wäldern übrig geblieben waren. Nun nahm er auch den Geruch wahr, der das Haus durchzog, der Gestank nach Leder, das noch der Weiterverarbeitung harrte. Soweit sich Wittiges entsann, hatte der Mann bei der letzten Plünderung von Reims schwere Verluste erlitten. Sein Haus hatte zu jenen gehört, die bis auf die Grundmauern niedergebrannt waren. Anscheinend hatte er sich finanziell noch nicht erholt. Und auch sonst machte er den Eindruck eines Verlierers und vom Unglück Verfolgten. Der Flur war schon seit einer Weile nicht mehr gefegt worden. Durch den Staub war das abgetretene Mosaik aus einfachsten geometrischen Mustern kaum noch zu erkennen und von der niedrigen, weiß gekalkten Decke, die deutliche Wasserflecken aufwies, hingen Spinnweben herab. Also nur wenig Gesinde im Haus.
„Ich besorge dir einen Arzt“, erklärte Wittiges kurz entschlossen. „Im Palast finde ich sicher einen.“
„Den kann ich nicht bezahlen“, wehrte der Mann ab.
„Doch, du kannst, du bezahlst mit Informationen“, entgegnete Wittiges, riss die Tür auf und wollte in die Nacht hinaus verschwinden. Aber da prallte er beinahe mit einem Mann zusammen, der die Hand gehoben hatte, um an die Tür zu klopfen.
Wittiges stutzte kurz und trat dann beiseite. „Bist du der Arzt?“
Der Mann nickte nur gemessen. Etwas an ihm wirkte fremd.
Wie sich herausstellte, war der Arzt ein jüdischer Gelehrter, der seit einigen Jahren in der kleinen Gemeinde lebte, die sich in Chalon gebildet hatte. Die meisten Mitglieder waren Händler, hatten aber ihr eigenes Viertel. An dieses Viertel hatte Wittiges noch gar nicht gedacht, aber nun war es viel zu spät, um dort noch jemanden aufzuscheuchen. Der Hausherr ließ ihn ohne Umstände allein und führte den Arzt eilig in die Tiefe des Hauses. Wittiges lauschte den Stimmen, die sich die Treppe hinauf verloren, und überlegte, ob er gehen sollte. Er starrte noch in die zuckenden Flammen der Fackel, die den Flur beleuchtete, als er einen Schreckenslaut vernahm, dem gleich darauf ein furchtbares Jammern folgte. Es war nicht sein Unglück, welches das Haus getroffen hatte, dennoch brachte er es nicht über sich, sich ohne ein Wort der Anteilnahme davonzumachen. Mit spürbarem innerem Widerstreben stieg er die Treppe in den ersten Stock hinauf. Oben traf er auf eine ältere Magd, die weinend an der Wand lehnte.
Er fasste sie am Arm. „Welches Zimmer?“ Eigentlich erübrigte sich die Frage, er brauchte nur den Klagelauten zu folgen.
Auf der Schwelle prallte er zum zweiten Mal beinahe mit dem Juden zusammen. Der Mann hatte den Türvorhang angehoben, um herauszuschlüpfen, so konnte Wittiges an ihm vorbei ins Innere spähen. Der Arzt war offensichtlich zu spät gekommen. Der alte Händler war am Bett seiner Frau zusammengebrochen und schluchzte in tiefster Untröstlichkeit.
„Tritt lieber nicht näher, das Fieber ist ansteckend“, raunte der Arzt.
Wittiges nickte nur, trat aber dennoch ein. Sanft legte er dem Trauernden die Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid um deine Frau“, sagte er schlicht. „Kann ich etwas für dich
Weitere Kostenlose Bücher