Der Hüter des Schwertes
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»Gut. Ich werde dafür sorgen, dass jeder, der sich uns widersetzen könnte, nicht in der Stadt sein wird, wenn der Königliche Rat zusammentritt. Und was die Krise angeht – nun, es wird die größte Krise sein, die dieses Land jemals erlebt hat! Ich werde das Drachenschwert stehlen!«
Worick ließ sein Weinglas fallen, und Cessor verschluckte sich beinahe an seinem Wein, aber keiner von ihnen wagte es, das Wort zu ergreifen.
»Also, wir werden es folgendermaßen machen …«
Pater Enterius Nott war seit fast sechzig Jahren Priester, und vierzig davon hatte er in Chell verbracht.
Im Großen und Ganzen war es ein schönes Leben gewesen. Tage, in denen er seiner Pflicht Gott und der Gemeinde gegenüber nachgekommen war und den Dorfbewohnern den richtigen Weg durchs Leben gewiesen hatte. Ohne jeden Ehrgeiz, je mehr als ein Dorfpriester zu sein, hatte er einige Angebote abgelehnt, in kleine oder größere Städte zu ziehen. Den Wechsel der Jahreszeiten zu erleben, Pflanzen und Tiere wachsen zu sehen – das waren die Dinge gewesen, die er geliebt hatte. Dank Aroaril starben nur wenige seiner Dorfbewohner an Krankheiten. Seine Gebete um Heilung waren beinahe immer erhört worden. Auch wenn es die eine deutliche Ausnahme gab, konnte er auf ein Leben zurückblicken, das er damit verbracht hatte, in seinem kleinen Teil von Norstalos Frieden und Gesundheit zu erhalten. Wer hätte schon mehr verlangen mögen?
Aber jetzt war er beunruhigt. Nach den Regeln der Kirche mussten alle Priester im Alter von achtzig Jahren ihr Amt aufgeben, weil man glaubte, danach würden ihnen die Anforderungen, sich um ihre Herde zu kümmern, doch zu viel. Er hatte überdies den Verdacht, dass er von Gott zu einer anderen Art von Dienst berufen werden würde. Er war nie so mit der Gabe der Wahrsagung begnadet gewesen wie viele seiner Amtskollegen. Aber seine Träume wurden immer lebhafter – und erschütternder. Er hatte Tage des Blutvergießens und des Schmerzes kommen sehen, Tage der Heere und Schlachten. Sein unmittelbarer Vorgesetzter, Bischof Gameron, war ein erfahrener Wahrsager.
»Norstalos steht an einem Scheideweg seiner Geschichte«, hatte er gesagt. »Ich kann nicht bestimmt sagen, welches Schicksal uns ereilen wird, aber es wird uns zwingen, uns noch größerem Unheil zu stellen als einst König Riel. Was auch immer geschehen wird, das Land wird sich von Grund auf verändern. Das Volk ist nicht bereit dafür; es hat zu lange in Frieden gelebt. Es wird versuchen, sich seiner Verantwortung zu entziehen. Aber letzten Endes wird es gezwungen sein zu kämpfen.« Und er hatte zugegeben, dass er nicht hatte sehen können, wie das alles enden würde. »Du solltest dankbar sein, es nicht zu wissen, mein Freund!«, hatte er gewitzelt.
»Ich wäre noch dankbarer, wenn all dies gar nicht erst geschähe«, hatte Nott geantwortet.
Und dann hatte er in der vergangenen Nacht diesen Traum gehabt. Oder besser gesagt, diese Nachricht von Aroaril bekommen. Es war unmöglich, es für irgendetwas anderes zu halten. Schwierig war nur, wie viel von dem Traum er offenbaren durfte. Wenn er zu viel verriet, könnte genau das Gegenteil von dem geschehen, was Aroaril beabsichtigte. Alles, was gut war in Norstalos – und vielleicht auf der ganzen Welt –, wäre dann verloren.
Er hatte den ganzen Tag darüber nachgedacht. Also erfüllte es ihn sowohl mit Freude als auch mit Angst, als er Karias Stimme wieder vor seinem Haus hörte. Er stand auf und sah das ungleiche Paar kommen. Ihm blutete das Herz bei Karias Anblick. Sie war schmutzig und schrecklich hager. Offensichtlich war Edil ein so schlechter Vater gewesen, wie er es befürchtet hatte. Und der Mann, der sie ihm zurückbrachte – sein Schmerz, sein Zorn und seine Verachtung ließen Nott beinahe verzagen. Aber er wusste, was er zu tun hatte. Er atmete tief durch und öffnete die Tür, um sie zu begrüßen.
Martil hielt beinahe erschrocken inne. Karia hatte ihm zwar gesagt, Pater Nott sei »sehr alt«, aber Martil war davon ausgegangen, dass sie es aus der Perspektive einer Sechsjährigen sah, aus der jeder jenseits der dreißig uralt war. Pater Nott jedoch war tatsächlich in fortgeschrittenem Alter. Das schüttere weiße Haar bedeckte kaum seine Kopfhaut, und sein Gesicht war durch tiefe Falten und Altersflecken gezeichnet. Seine knorrigen, verkrümmten Hände zitterten leicht. Aber seine Augen erstrahlten in hellem Blau, sie sprühten vor Leben, und sein Lächeln war warm und
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