Der Hüter des Schwertes
goldenen Griff angezogen wurde. Der Griff war der Körper des Drachen, der Schwertknauf sein aufgerollter Schwanz und die Flügel waren zur Parierstange geworden. Er sehnte sich danach, den Griff zu berühren und zu sehen, ob er das Schwert ziehen konnte. Sein Herz schlug immer schneller, als seine Hand sich dem Griff näherte. Er war nur noch einen Herzschlag von dem Schwert entfernt … was, wenn er das mächtige Drachenschwert führen konnte? Es war ein atemberaubender Gedanke. Seine Finger berührten das Schwert fast, als ein warnendes Zischen ihn zurückzucken ließ, als hätte er sich die Hand verbrannt. Er wirbelte zu seinen Männern herum.
»Wer war das?«, fragte er scharf.
»Wer war was, Wachtmeister?«, fragte Karney und sprach auch für seine Kameraden.
Chelten wandte sich wieder dem Schwert zu. Hatte es etwa … ach, bestimmt nicht! Er wollte erneut danach greifen, besann sich jedoch eines Besseren.
»Bringt mir einen Umhang«, rief er.
Die Hände geschützt durch den dicken Stoff, nahm er das Schwert und wickelte es ein. Er konnte ein siegestrunkenes Lächeln nicht zurückhalten.
»Zurück zu den Pferden. Wir werden nach Tetril reiten, uns für ein paar Wochen verstecken und dann im Triumph heimkehren. Wir werden nur bei Nacht reiten und die Straßen meiden. Nichts kann uns jetzt noch aufhalten!«
Der Palast war in Aufruhr. Die Leichen waren erst entdeckt worden, als kurz vor Tagesanbruch die täglichen Lieferungen eingetroffen waren. Selbst dann hatte es noch eine Verzögerung gegeben, denn der Lebensmittellieferant hatte die Miliz geholt, statt selbst in den Palast zu gehen und dort Meldung zu machen. Der Wachtmeister der Miliz hatte dann nicht ohne einen Offizier den Palast betreten wollen. Der Offizier wiederum hatte nicht ohne einen Offizier der Königsgarde in den Palast gehen wollen, der wiederum den Königlichen Kammerherrn hatte ausfindig machen müssen, bevor er mit der Königin sprechen konnte. Die Sonne war längst aufgegangen, bevor die Schließung der Stadttore befohlen wurde. Und dann erhob sich die Frage, wer die Eindringlinge verfolgen sollte. Der Zuständigkeitsbereich der Miliz endete bei den Stadtmauern, während die Königsgarde nur für den Palast zuständig war. Alles darüber hinaus fiel unter die Zuständigkeit des Heers, das von Herzog Gello befehligt wurde. Dessen Erlaubnis musste eingeholt werden, bevor man Berittene des Heeres ausschicken konnte, um die Mörder und Diebe zu verfolgen.
Königin Merren war von ihren Zofen geweckt worden, aber es war ihr unmöglich gewesen hinunterzugehen, um sich selbst ein Bild zu machen, bevor sie nicht angekleidet und frisiert war. Ihr Vater hatte immer gesagt, dass ein Mitglied des Königshauses nicht aussehen durfte, als wäre es gerade aus dem Bett gefallen. Es war frustrierend, so lange warten zu müssen, und sie musste gegen das starke Verlangen ankämpfen, die Zofen zornig zur Eile zu drängen. Es gab weitaus wichtigere Dinge als Frisuren. Aber sie wusste auch, dass die Leute noch mehr über sie tuscheln würden, wenn sie sich anders als makellos sehen ließ.
Sie zwang sich, in den Spiegel zu schauen. Sie wusste, dass sie keine Prinzessin war, wie die Barden sie besungen; ihr Kinn war zu ausgeprägt, ihre Nase gerade einen Tick zu lang, aber sie hatte langes blondes Haar und grüne Augen – und die Männer rissen sich darum, ihr Komplimente zu machen. Wenn sie aber bedachte, was hinter ihrem Rücken gesagt wurde … Sie seufzte und überließ sich den Bemühungen der Zofen.
Als sie endlich die Palasttore erreichte, stritten sich die Miliz und die Königsgarde darüber, wer zu Herzog Gello geschickt werden sollte. Sie widerstand dem Drang, sie allesamt anzuschreien, und zwang sich zu einer teilnahmslosen Miene. Sie befahl der Miliz, die Nachricht zu übermitteln, obwohl sie wusste, dass es den Großteil des Vormittags dauern würde, bis sie den Herzog gefunden und dann wiederum dessen Boten ein Kommando Berittener mit der Verfolgung beauftragt hatten. Die Diebe mussten bis dahin längst über alle Berge sein. Als sie dem Gespräch folgte, stellte sie rasch fast, dass sie sonst nicht wirklich etwas tun konnte. Niemand wusste so recht weiter, und sie hatte nicht das Bedürfnis, sich die Entschuldigungen der Königsgarde oder die Ausreden der Miliz anzuhören. Außerdem fühlte sie eine Eiseskälte in der Brust, als sie erfuhr, dass das Drachenschwert gestohlen worden war. Irgendetwas musste getan werden, und sie glaubte nicht
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