Der Hüter des Schwertes
Pferdehändler seines Zeichens. Es hatte damit begonnen, dass er einen Wallach für sagenhafte fünf Goldstücke verkauft hatte. Fünf Goldstücke! Jeder Mann, der so viel Geld für ein Pferd zu bezahlen bereit war – selbst für ein so gutes Pferd –, besaß mehr Geld als Verstand! Er hatte den Mann natürlich erkannt, sich das jedoch nicht anmerken lassen, damit er nicht auf die Idee kam, womöglich einen Nachlass zu verlangen. Aber seinen Kunden hatte er im Handumdrehen erzählt, dass der legendäre Kriegshauptmann Martil seine Pferde nur bei ihm kaufe. Das hatte zur ertragreichsten Woche seines ganzen Geschäftslebens geführt, in der er mehr Tiere für mehr Gold verkauft hatte, als er sich jemals hätte träumen lassen. Er versuchte, auf dem Heimweg nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Die Gewinne der Woche hatte er in Papier gewickelt, damit das Gold nicht klimperte, und es sich vorne in die Hose gestopft. Er war gerade dabei, sich selbst zu beglückwünschen, als eine Hand aus der Dunkelheit geschossen kam und ihn in eine kleine Seitengasse zerrte. Er riss den Mund auf, um laut nach Hilfe zu schreien, überlegte es sich jedoch anders, als ein langes Messer vor seinem Gesicht aufblitzte.
»Schrei um Hilfe, und du wirst tot sein, noch bevor die Miliz dich gehört hat«, warnte ihn eine Stimme.
»Wa… was willst du? Meine Geldbörse ist …«, er fummelte nach der Börse an seinem Gürtel, in der er ein paar Silberstücke hatte, um Diebe zu beschwichtigen.
»Ich will kein Geld. Ich will eine Auskunft. Du hast Anfang dieser Woche einem Mann ein schnelles Pferd verkauft, einem Mann, der bereit war, einen hohen Preis zu zahlen, um schnell aus dem Land zu kommen. Wer war dieser Mann, und wohin wollte er? Sag es mir schnell, sonst nehme ich dir zuerst deine Augen und dann deine Männlichkeit.«
»Es war Hauptmann Martil!«, antwortete Fredden in Todesangst. »Er sagte, er wolle nach Norden reiten, um sich an der Norstaler Küste niederzulassen! Das ist alles, was ich weiß! Ich schwöre es!«
»Danke.« Das Messer bohrte sich in Freddens Auge, in sein Gehirn und durch den Schädel, bis die Messerspitze hinter dem Kopf des Pferdehändlers gegen die Mauer stieß. Cezar ließ den zuckenden Körper auf den Boden gleiten und nahm dem Mann sein Geld ab, damit es wie ein Raubüberfall aussah. Er war wütend – und er hatte Angst. Markuz würde vor Wut kochen, Onzalez enttäuscht sein. Cezar war sich nicht sicher, was er mehr fürchten sollte.
Die planmäßige wöchentliche Zusammenkunft des Kronrats sollte an diesem Morgen stattfinden. Ein weiterer Grund, befand Merren, Gello zu verdächtigen. Warum sonst hätten die Diebe ihren Plan ausgerechnet in der Nacht vor dieser Sitzung ausführen sollen? Es konnte nur darum gehen, den Adligen direkt im Anschluss an das Geschehen die Möglichkeit zu verschaffen, unangenehme Fragen dazu zu stellen, wie es überhaupt zum Diebstahl des Drachenschwertes hatte kommen können. Mit dem Schwert war nicht nur das Symbol Norstalos’, sondern auch der Garant des Friedens in Norstalos verschwunden. Selbst jene, die ihr freundlich gesinnt waren, würden Antworten verlangen.
Auf dem Weg zum Ratssaal versuchte Merren, Ruhe in den Fluss ihrer Gedanken zu bringen. Der Raub des Schwertes war offensichtlich der bislang letzte Zug in dem komplizierten Spiel, das sie und Gello seit Jahren spielten. Das Spiel war in seine Endphase eingetreten, als Merrens Vater vor drei Jahren gestorben war. Sie hielt vor einem Portrait ihres Vaters inne, und es kostete sie jede Menge Selbstbeherrschung, ihn nicht anzuschreien. Dieser Narr! Dieser dumme, blinde Narr! Sie in eine solche Lage zu bringen! Es war alles seine Schuld!
Sie kannte natürlich seine Gründe, aber das machte es ihr nicht leichter, die Folgen seiner Entscheidung zu tragen. Die Königsweihe in Norstalos wurde von dem Drachenschwert vollzogen. Alle Könige seit dem gefeierten König Riel waren vom Drachenschwert erwählt worden. Manchmal ignorierte es Söhne und entschied sich für Neffen oder Cousins; manchmal übersprang es eine ganze Generation oder griff auf jemanden zurück, der einer älteren Generation angehörte als der verstorbene König. In der Lage zu sein, das Drachenschwert zu ziehen, war die entscheidende Messlatte für die Thronfolge. Aber niemand zuvor hatte eine Königin auf dem Thron gesehen. Hätte das Drachenschwert Merrens Cousin, Herzog Gello, ausgewählt, säße er heute auf dem Thron. Aber es hatte ihn
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