Der Huf des Teufels (German Edition)
doch auf freier Strecke spürte sie, wie der Wind gegen das Heck des Autos drückte und sie anschob. Die Sonne versteckte sich hinter einer dünnen bläulich grauen Wolkenschicht. Im Radio hatte der Wetterbericht vorausgesagt, dass es ab übermorgen wärmer werden sollte. Temperaturen um die zwanzig Grad waren für das kommende Wochenende in Aussicht gestellt. Shelly konnte das noch nicht glauben, zumal sie das Wetter hier in diesem Landstrich noch nicht lesen konnte. In Texas wusste sie, wann ein Gewitter aufkam oder sich ein Tornado zusammenbraute. Hier war alles anders.
Sie hatte noch in der Nacht das Foto des Kontoauszugs auf ihren Laptop übertragen und in der Vergrößerung bequem die Kontobewegungen der Firma Boltec & Co Financial Consulting verfolgen können. Sie fand hochinteressante Eingänge, unter anderem auch recht regelmäßige Zahlungen von einem gewissen Berger.
Der Feldweg 23 lag in einem alten Gewerbegebiet von Fischbach am westlichen Ende des Ortes. Hier hatte einmal die Ölbohrindustrie Einzug gehalten, und es gab immer noch stillgelegte Bohranlagen namhafter Firmen, die hier ansässig gewesen waren. Shelly bog von der Ausfallstraße in einen kleinen unscheinbaren Weg ein, der laut Ausschilderung in das Gewerbegebiet führte. Der Feldweg lag allerdings schon an der Grenze zu einem Wohngebiet. Hier standen vierstöckige Betonhäuser mit schmutzigen Fassaden und verrosteten Balkongeländern. Ein kleines Schild wies die Hausnummern 21, 23, 25 und 27 auf der linken Seite aus. Die Betonklötze standen in Vierergruppen inmitten von ungepflegten Rasenanlagen. Hinter den Häusern waren Wäschegerüste aufgebaut, wo an alten, schlaff gespannten Leinen die Wäsche von älteren Herrschaften und bunte Kinderhosen und Hemden nebeneinander hingen. Shelly ging zu Nummer 23 und las die Klingelschilder. Müller, Schachtrad, Watzke, Lohental, Bogenstock, Radke, Arslan und Boltec & Co. So, wie es dastand, hätte man von einem schwulen englischen Pärchen ausgehen können, das sich inmitten einer kleinbürgerlichen Dorfsiedlung im Dachgeschoss eingerichtet hatte. Shelly rüttelte an der Tür, doch die war verschlossen. Sie klingelte bei Boltec & Co, doch nichts tat sich. Das überraschte sie nicht. Also versuchte sie es ganz unten bei Müller. Nichts. Als sie daraufhin bei den Schachtrads klingelte, knackte es in dem kleinen metallenen Lautsprecher.
»Ja?«, hörte Shelly eine Männerstimme fragen.
»Mein Name ist Kutscher, ich möchte zu der Firma Boltec & Co.«
»Da müssen Sie oben klingeln. Hier ist Schachtrad.«
»Ich weiß. Die machen nicht auf. Ich …«
Shelly wusste nicht weiter. Der Mann klang nicht so, als würde er sie reinlassen oder auch nur ein weiteres Wort mit ihr wechseln.
»Es geht um einen Film. Ich suche einen Drehort.«
Shelly dachte, dass wie so oft vielleicht auch hier die Filmindustrie ein Sesam-öffne-dich wäre.
»Was denn für ein Film?«, fragte die Stimme.
Gar nicht schlecht, dachte Shelly.
»Kennen Sie die Serie Marshall Stone?«
Sie hörte ein rauschendes Lachen in der Leitung.
»Natürlich.« Mehr sagte er nicht. Es knackte erneut, dann ertönte der Summer, und Shelly drückte die Tür auf. Drei Stufen über ihr trat ein älterer Mann auf den Flur, Mitte sechzig, mit grauen, pomadig gekämmten Haaren, einer blauen Trainingshose, braunen Pantoffeln und einem ehemals weißen Unterhemd.
»Herr Schachtrad?«, fragte Shelly und ging auf ihn zu. Der Mann sah zuerst ihre Stiefel, dann ihre Hose, dann ihr Hemd und schließlich ihr Gesicht und die Mütze an. Als er oben fertig war, begann er wieder von unten. »Mein Name ist Kutscher. Sie sagten, Sie kennen die Serie?«
»Mmh?«
»Die Serie«, sagte Shelly, und jetzt blickte er ihr zum ersten Mal in die Augen.
»Ach Schtone, ja«, brummte er. Er sprach es so aus, dass Shelly erst gar nicht begriff, was er gemeint hatte.
»Erkennen Sie mich?« Shelly lächelte.
»Nö. Wer sind Sie denn?«
»Ich bin Marshall Stone.«
Der Mann machte noch einen Schritt auf den Flur hinaus, reckte den Kopf und begutachtete sie wie ein tropisches Rieseninsekt im Naturhistorischen Museum.
»Ich hab meine Brille nich bei«, sagte er. Er betastete seine Taschen. »Moment …« Er ging schnell in die Wohnung zurück.
»Wer ist es denn?«, hörte Shelly eine Frau rufen. Eine hohe, neugierige Stimme.
»Sie sacht, sie is die Schtone«, antwortete Herr Schachtrad.
»Wer?«
»Na, die Schtone ausm Fernsehen.«
»Ach, so’n Quatsch, Heinz. Und so
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