Der Huf des Teufels (German Edition)
die ganze Nacht bei mir«, sagte sie mit zitternder Stimme.
Shelly begriff nur langsam, was hier passierte. Und was zwischen den beiden war. Ihre Augen sprangen von Geraldine zu Leif. Sie sah zwei endlos traurige Kinder, die sich soeben in einer Sackgasse des Lebens wiedergefunden hatten.
»Ihr seid ein Paar? Leif?«
Leif blickte zu Boden. Er konnte Geraldine nicht in die Augen schauen. Aber er nickte.
»Tut mir leid für dich, Geraldine, aber alles, was ich gesagt habe, ist wahr.«
Damit ließ Shelly die beiden allein. Ihre Schritte auf dem Flur und im Treppenhaus wurden leiser, und man hörte die Haustür zuschlagen. Vor dem Fenster entfernte sich das Hufgetrappel von Pancake. Leif stand immer noch wie versteinert mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf vor seinem Bett. Geraldine trat hinter ihn und starrte auf seinen Hinterkopf. Sie versuchte zu verstehen, was sie gerade gehört hatte, versuchte es zu verarbeiten. Sie war entsetzt und verstört. Ihre Tränen flossen jetzt ungehindert und tropften von ihrem Kinn auf die Bettdecke. Es vergingen Minuten, ohne dass sich einer der beiden bewegte oder etwas sagte.
»Stimmt das, Leif?«, fragte Geraldine schließlich, und eine unangenehme Kälte schwang in ihrer Stimme mit. Leif rührte sich nicht. So bewegungslos er nach außen hin auch war, in ihm tobte ein brodelnder Sturm von Gedanken. Dieser Orkan hatte Leifs und Lasses gemeinsames Leben mit sich gerissen und ließ es nun trümmerweise in Hochgeschwindigkeit durch seinen Kopf fliegen.
»Leif. Antworte mir«, forderte Geraldine. Jeder Muskel ihres Körpers war jetzt angespannt. Die Sehnen an ihren Handgelenken traten hervor, und eine bläuliche Ader auf ihrer Stirn blähte sich auf.
Sie machte zwei Schritte um das Bett herum und stieß Leif mit beiden Händen, sodass er nach vorn fiel und sich auffangen musste. Jetzt drehte er sich zwar zu ihr um, doch ansehen konnte er sie immer noch nicht.
»Ist das wahr, was Shelly gesagt hat? Wie kann das sein, du warst doch bei mir! Wir haben …« Geraldine dachte an den Abend zurück, und da fiel ihr etwas auf. »Moment. Ich hatte doch diesen Filmriss. Aber ich hab nur ein Glas Wein getrunken. Leif, was ist an dem Abend passiert?« Eine schreckliche Ahnung kam in ihr auf. Sie ging auf ihn zu. »Hast du mir etwas in den Wein getan? Hast du …«
Sie dachte nach, versuchte das Puzzle zusammenzusetzen und starrte in Leifs Gesicht, als stünde die Wahrheit dort irgendwo in mikroskopisch kleiner Schrift geschrieben.
»Du hast mich nur benutzt. Das war geplant, oder? Du hast mich …« Sie konnte nicht weitersprechen. Stattdessen schlug sie ihm klatschend ins Gesicht. Leif ließ es einfach geschehen. »Was bist du nur für ein Mensch? Du wusstest, dass ich mich in dich verliebt hatte, du wusstest das!« Ihre Augen sprühten wütende Funken. »Ich werde zur Polizei gehen. Ihr beide werdet dafür büßen müssen, glaub mir.« Sie wandte sich von ihm ab, lief zur Tür und riss sie auf.
»Warte!«, rief Leif plötzlich. »Warte!«
* * *
Die Sonne stand fast senkrecht über dem Hof. Die Dächer der Ställe warfen schmale schwarze Schatten. Es war angenehm warm, in der Luft sirrten Insekten, und zwei Zitronenfalter tanzten umeinander. Aus den Ställen drang hohles Hufgetrappel, Stroh raschelte. Irgendwo hörte man einen Trecker. Ansonsten war es still auf dem Hof. Man hörte keine Stimmen. Zehn Pferde standen angebunden im Sonnenschein und wurden für den morgigen Tag zurechtgemacht. Sie mussten abgespritzt und gestriegelt, gebürstet und ihre Mähnen geflochten werden. Zwei Auszubildende flankierten jeweils ein Pferd. Sie arbeiteten in T-Shirt und Reitweste. Die Reithalle wurde von Lasse gewässert und von Torben geharkt. Jülich und Katja hatten die Organisation übernommen und eilten von einer Stelle zur anderen, weil noch so viel zu erledigen war. Sara war seit knapp einer Stunde im alten Stall. Alle, die ihr begegnet waren, hatten ihr versichert, wie leid es ihnen tue, dass ihr Vater nun in Haft war und dass sie fest an seine Unschuld glaubten. Sara hatte freundlich und gefasst reagiert und gleichzeitig gespürt, wie viel Angst in der Luft lag. Die Zukunft aller hier stand auf dem Spiel. Die Stille auf dem riesigen Grundstück hatte fast etwas Unheimliches, obwohl der Anschein ein anderer war. Nach außen hin sah alles friedlich und idyllisch aus.
Es war kurz vor ein Uhr mittags. Gleich würden sich alle zum Mittagessen in der Kantine treffen. Lasse stellte das
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