Der Huf des Teufels (German Edition)
Sie sagte das bewusst etwas bedrohlich. Sie wollte sehen, ob sich bei Frau Wilhelm irgendeine Reaktion zeigte, die Shelly etwas über Lasse verriet. Sein Zuhause schien nach außen hin perfekt zu sein. Sauber, geordnet, wohlhabend, eine gut aussehende Mutter mit gepflegter Erscheinung, gebildet, höflich, freundlich. Das alles machte den Eindruck einer intakten Familie und einer behüteten Kindheit. Aber diese Züge, die sie bei Lasse kurz hatte aufblitzen sehen, mussten irgendwo hier ihren Ursprung haben.
»So? Und welchen?«, hakte Frau Wilhelm nach, und eine Falte bildete sich zwischen ihren Augen.
»Ich bin, wie Sie ja wissen, eine recht prominente Schauspielerin. Ich werde auch hier in Deutschland erkannt. Was ich suche, sind Mitarbeiter, die hundertprozentig diskret sind und auf die ich mich voll verlassen kann. Jede Information, die die Presse von mir aufschnappt, kann gleich am nächsten Tag in der Zeitung stehen, und ich möchte hier wie gesagt mein Rückzugsgebiet haben, verstehen Sie?«
»Selbstverständlich. Lasse ist absolut vertrauenswürdig. Er würde niemals …«
»Schön. Das freut mich zu hören. Es wäre nett, wenn Sie mir einfach noch ein bisschen mehr über ihn erzählen könnten, sodass ich mir ein Bild machen kann.«
»Über Lasse? Ja, natürlich. Wo soll ich da nur anfangen?«
Sie überlegte einen Augenblick und strich mit der Hand über den Tisch, als müsste sie Krümel wegfegen, die aber nicht vorhanden waren.
»Er war schon immer ein sehr liebes und aufgewecktes Kind. Immer lustig, immer lachend und immer neue Ideen im Kopf. Er konnte lesen, bevor er in die Schule kam, und hatte dort von Anfang an gute Noten, weil es ihm auch immer Spaß gemacht hat. Er wurde gern gefordert. Und mein Mann und ich, wir waren selbst Reiter in jungen Jahren und besitzen Pferde, und Lasse saß quasi von Anfang an mit uns im Sattel. Ich habe noch Fotos … warten Sie, ich hole sie mal.« Sie lief ins Wohnzimmer und zog ein Fotoalbum aus dem Bücherregal. Am Tisch schlug sie es auf und drehte es so, dass Shelly hineinsehen konnte. »Sehen Sie hier? Da ist er gerade mal zwei Jahre alt.«
Shelly sah einen kleinen flachsblonden Jungen, der mit Reiterstiefelchen und Helm auf einem großen Pferd saß. Herr Wilhelm stand in Reiterkleidung neben ihm und hielt ihn fest. Beide lachten in die Kamera.
»Ist das Ihr Mann?«
»Ja, Helmut, er hat jede freie Minute mit Lasse verbracht und ihn von Kindesbeinen an sportlich gefördert. Der Junge war und ist unser ganzer Stolz. Wir haben so viel Glück mit ihm.«
Shelly blätterte weiter und sah den kleinen Lasse im Stall und auf der Weide, beim Fasching und zu Weihnachten. Auf einem Foto war er im Wohnzimmer mit einer Geige abgebildet.
»Oh, Geige spielt er auch?«
»Ja, wir haben ihn viele Dinge ausprobieren lassen. Klavier, Geige, Klarinette. Aber die Geige hatte es ihm von Anfang an angetan.«
»Wie alt war er da?«
»Das muss so mit vier gewesen sein.«
»Das ist früh, oder?«
»Ja, aber Kinder lernen nun einmal viel leichter und spielerischer als Erwachsene. Es bringt wirklich eine Menge, wenn Kinder sehr früh an die Dinge herangeführt werden.«
»Und wie sieht es mit Freunden aus? Hatte er viele Freunde?«
»Oh ja, er war schon immer sehr kontaktfreudig. War oft Klassensprecher und beliebt in seinem Freundeskreis.«
»Und wann haben er und Leif sich kennengelernt?«
»Leif? Ach, das … Das war so in der Oberschule. Aber es ist im Grunde nichts, was länger Bestand hätte.«
»Wieso? Sie sind doch gute Freunde.«
»Na ja, aber der Junge ist einfach nicht auf demselben … wie soll ich sagen … Niveau wie Lasse. Jetzt sind sie noch in der Ausbildung, aber danach werden sich ihre Wege sicherlich trennen. Lasse hat noch viel vor.«
»Ja, aber mir kommen die beiden geradezu unzertrennlich vor.«
»Unzertrennlich?« Frau Wilhelm lachte laut auf. »Nein, also das ist ja nun wirklich abwegig. Aber ja, natürlich ist Leif ein netter Junge, und sie haben viel unternommen zusammen. Leif hat von Lasse mit Sicherheit ganz viele Dinge abgucken können, aber später im Beruf … na, Sie wissen doch sicher selbst am Besten, wie das ist.«
Shelly wusste in der Tat, wie das war, wenn der Beruf einen ganz und gar in Beschlag nahm und man sich plötzlich in einer anderen Welt wiederfand, die nichts mehr mit der eigenen Vergangenheit zu tun hatte. Sie war, wie Leif und Lasse schon richtig gesagt hatten, durch die Schauspielerei zu einem Flamingo geworden. Ihr
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