Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
die Dunkelheit dringt, könnte man sehen, wie sich auf dem Rücken des Hundes ein Streifen Fell aufrichtet.
»Ja, der Kollege Lungner! Immer auf Trab…«
Es kommt keine Antwort.
»Nicht sehr gesprächig, wie?«
»Mensch, hau ab«, sagt eine heisere Stimme. »Oder du kriegst noch richtigen Ärger…«
»Ja«, sagt Berndorf, »da hört man doch gleich die gute alte Schule heraus! Duzen, anschnauzen, Knüppel raus… Was halten Sie davon, wenn ich jetzt bei der Polizei anrufe und sage, ihr sucht doch einen Spanner, hier im Grünen Hof steht so ein Kerl und lurt nach den Mädchen vom Evangelischen Jugendkreis? Menschenskind Lungner, stellen Sie sich das doch mal vor, wie Meunier und seine amerikanischen Freunde im Viereck springen, wenn die Ulmer Polizei schon wieder wegen Ihnen nachfragt.« Er holt sein Handy heraus und schaltet es ein.
»Ich geh ja schon«, sagt die heisere Stimme. »Aber mit Ihnen sind wir noch lange nicht fertig.«
Der Schatten löst sich aus dem Eingang, Berndorf und sein Hund gehen einen Schritt zurück und lassen Lungner vorbei, der zur Neuen Straße vorgeht und nach wenigen Schritten im Zwielicht verschwindet.
Dann geht auch Berndorf weiter, bis zur Adlerbastei vor, und wirft einen Blick auf das blütenlose Gesträuch des Rosengartens und auf die Donau, die unter ihm schwarz und zielstrebig ihrem Lauf folgt. Er kehrt um, biegt dann nach rechts ab auf den Weg, auf dem noch immer der Widerschein der erleuchteten Fenster liegt. Am Hauseingang zögert er kurz, entscheidet sich dann, nicht zu klingeln, sondern holt aus einer Jackentasche einen schmalen biegsamen Plastikstreifen heraus. Im nächsten Augenblick schnappt das Türschloss auf, Berndorf schiebt die Haustür auf und tritt behutsam ein.
Von oben hört er Schritte.
Es sind leichte Schritte, die einmal hierin gehen und einmal dorthin und dann wieder verharren.
Berndorf bückt sich zu seinem Hund und deutet wortlos mit dem Zeigefinger auf den Boden. Er muss die Geste wiederholen, dann begreift Felix und streckt sich auf den Steinplatten des Flurs nieder, die Pfoten ausgestreckt.
Berndorf, die Hundeleine über die Schulter gehängt, geht an der Tür des Sekretariats vorbei und steigt die Treppe hoch. Dabei achtet er nicht darauf, ob seine Schritte zu hören sind oder nicht.
»Entschuldigung«, ruft er, als er oben in einem kahlen Flur angelangt ist, »ich suche Frau Hartlaub …«
»Einen Augenblick!«, antwortet eine Stimme von oben, dann sieht Berndorf grobe Schuhe und Jeans die Treppe herabsteigen, die Jeans gehören zu langen kräftigen Beinen, es kommt
– den Oberkörper in einen grob gestrickten Pullover und das blonde Haar in ein Kopftuch verpackt – Marielouise Hartlaub insgesamt zum Vorschein und steht vor Berndorf auf dem Flur.
»Sie sind das!« Sie zieht den rechten Gummihandschuh aus und tauscht mit Berndorf einen kräftigen Händedruck. Auf ihrem Gesicht erscheint die Andeutung eines Lächelns. »Wo haben Sie Ihren Hund gelassen?«
»Unten«, antwortet er, »ich muss mich sowieso für mein Eindringen entschuldigen, aber die Tür war nicht richtig geschlossen…«
»Nicht richtig geschlossen?«, fragt sie zurück. »Das wundert mich. Aber es ist sehr aufmerksam von Ihnen…« Aus graublauen Augen mustert ihn ein fragender Blick. »Wie gut kennen Sie sich mit Türschlössern aus?«
»Nun ja«, sagt Berndorf, und seiner Stimme ist anzuhören, dass er sich unbehaglich fühlt, »zur Not kann ich eines auch ohne Schlüssel aufmachen.«
»Vielleicht sind Sie jetzt genau der Mann, den ich brauche«, meint sie und schüttelt einen Schlüsselbund. »Von diesen Schlüsseln hier passt keiner für die Tür zum Speicher, und ich sollte wissen, wie viel Platz zum Abstellen ich dort habe.«
»Ich kann’s ja mal versuchen«, meint Berndorf, und sie nickt ihm zu und geht ihm voran die Treppe hoch. »Sie wissen nicht, was sich in alten Pfarrhäusern an kirchenamtlichen und anderem Krempel ansammeln kann… Hier.« Sie bleibt vor einer braun gebeizten Holztür stehen.
Berndorf holt seinen eigenen Schlüsselbund hervor und macht sich an der Tür zu schaffen. Er muss ein wenig ausprobieren und ein bisschen Kraft einsetzen, denn das Schloss ist angerostet, aber dann schiebt der Dietrich den Riegel zurück und Marielouise Hartlaub sagt artig: »Bravo!«
Die Tür öffnet sich auf einen Korridor, der zu einer Holztreppe führt. Im Schein einer einzelnen Lampe gehen sie die Treppe hoch. Der Speicher ist leer, bis auf zwei
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