Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Spuren hinterlässt, hat seinen Weg gefunden«, sagt Berndorf. »Steht im Tao Te King. Ich hab mir jetzt eine Ausgabe gekauft und ein wenig darin gelesen…«
»Wo?«
»Können Sie sich das nicht denken?«, fragt Berndorf zurück. »Außerdem – welche Bedeutung hat das noch? Ich gebe es Ihnen ja zurück.«
Noch immer ist ihr Blick auf ihn gerichtet. Er versucht ein Lächeln, es bleibt unerwidert. Sie begreift nicht, was ich ihr angeboten habe, denkt Berndorf. Schweigen breitet sich aus, und wird unvermittelt unterbrochen von einem tiefen Knurren. Felix, das Rückenfell gesträubt, hat sich halb aufgerichtet und wittert in den leeren Raum unter ihnen.
Dann hört auch Berndorf die Schritte, die von unten das Treppenhaus heraufkommen.
»Berndorf, hören Sie mich?«, ruft von unten eine Stimme. »Nehmen Sie Ihren Köter an die Leine …«
»Der falsche Müller«, sagt Berndorf, nimmt die Leine von seinen Schultern und hakt sie am Halsband des Hundes ein. Meunier – dunkler Straßenmantel, dunkler Hut – tritt durch die Tür zum Dachboden und lüftet grüßend den Hut ab.
»Binden Sie den Hund am Geländer an«, sagt er. »So, dass ich es sehen kann.«
»Wenn es Sie beruhigt«, meint Berndorf und hakt die Halteschlaufe der Leine am obersten Treppenpfosten ein.
»Danke«, sagt Meunier. »Das ist scheußlich, wenn man einen Hund zusammentreten muss. Die sind ja nicht gleich hinüber. Ich hab das mal gesehen. Furchtbar.«
»Kennen Sie diesen Herrn?«, fragt Berndorf, an Marielouise Hartlaub gewandt. Sie hält noch immer, wie erstarrt, das Taschenbuch in der Hand.
»Nein«, kommt die Antwort. »Ich kenne ihn nicht, und ich weiß nicht, was er hier will und wie er hier hereingekommen ist, aber das weiß ich ja auch von Ihnen nicht…«
»Dann darf ich Ihnen den Herrn Meunier vorstellen«, sagt Berndorf, »ein sehr gewandter Herr, trägt auf beiden Schultern das Wasser, mit dem er sein Gewerbe betreibt, gleich wird auch der Herr Kadritzke dazukommen…«
Unten tritt, im schweren Lodenmantel, Kadritzke in den Dachraum und senkt dabei den Kopf mit dem grauen Bürstenhaarschnitt, damit er nicht am Türrahmen anstößt.
Wieder wendet sich Berndorf an Marielouise. »Ihn kennen Sie auch nicht? Er ist mehr fürs Grobe zuständig.«
»Nein«, antwortet Marielouise. »Ich glaube, ich bin auf der falschen Baustelle. Falls wir uns hier aber doch im Ulmer evangelischen Dekanat befinden sollten, sind vielleicht doch Sie es, Sie alle, die sich in der Hausnummer geirrt haben.«
»In so was irren sich diese Herren nicht«, antwortet Berndorf. »Wissen Sie wirklich nicht, mit wem Sie es hier zu tun haben? Es sind die letzten Schakale aus Wolffs Rudel, inzwischen mit dem Sternenbanner als Schafspelz getarnt, aber der Geruch ist geblieben. Eigentlich müssten Sie sie daran erkennen.«
»Hören Sie auf«, sagt Meunier. »Ihre Späße nerven nur. Die Dame sagt die Wahrheit, sie kennt uns wirklich nicht. Es genügt, dass wir sie kennen. Und wir könnten einige Details erzählen, die der Dame vielleicht nicht sehr angenehm sind. Aber wir sind ja unter erwachsenen Leuten und kommen alle drei aus einem Land, in dem man nicht prüde war.«
»Nein«, antwortet Marielouise, »ich bin nicht prüde, wirklich nicht, aber mit Ihnen habe ich kein Gespräch zu führen, schon gar keines mit Details für Erwachsene.«
»Das müssen Sie auch nicht.« Meunier gibt seiner Stimme einen fast verbindlichen Klang.
»Wir sind nämlich an solchen Einzelheiten gar nicht interessiert. Wir wollen nur unser Geld zurück. Das Geld, das uns Constantin Autenrieth schuldig ist. Es sind 3,8 Millionen Mark, Zins und Zinseszins nicht eingerechnet, unsere sonstigen Unkosten auch nicht, aber darüber können wir uns unterhalten, wir sind keine Unmenschen. Wenn die Dame sich zurückgelegt hat, will sie davon auch was zurückgelegt haben. Dafür hat sie unser Verständnis.«
»Sie sind zu gütig«, sagt Marielouise Hartlaub. »Und ich weiß, wer Constantin Autenrieth war. Vielleicht schuldet er Ihnen auch Geld, aber ganz sicher keine 3,8 Millionen, das war…«
Mitten im Satz bricht sie ab.
»Nu?«, fragt Meunier. »Was war das, wovon Sie nicht weiterreden wollen? Sie meinen, das war ein kleiner Beamter? War er doch. Aber was glauben Sie denn, wovon er das Appartement angemietet hat, drei Schritte von der U-Bahn-Station Stadthaus Bonn, klein, aber intim, das zahlt keiner aus seiner Zulage für die Ärmelschoner…«
Marielouise Hartlaub richtet sich auf.
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