Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Berndorf, »Sie wollten eine Schultüte …«
»Die Verkäuferin hat dann auch ›ach so‹ gesagt«, meint Marielouise, und in ihrem Tonfall scheint ein leichter Vorwurf mitzuschwingen.
»Eigentlich ist es merkwürdig, dass von diesen vierzig Jahren nicht noch mehr solcher unterschiedlicher Bezeichnungen geblieben sind«, sagt er, als ob er ablenken wolle. »Etwas vom Essen, der Broiler, vom Trinken die Brause und der Rotkäppchen-Sekt. Und, natürlich, die Sternstunde des Systems … Ich bin neulich auf sehr abseitige Weise über dieses Thema gestolpert, es ging darum, wem die Erde scheint …« Er bricht ab. »Vermutlich dem Mond?«, rät Marielouise Hartlaub.
»Nein, nicht dem Mond. Es wurde nach einem Menschen gefragt. Einem Menschen in einer sehr besonderen Lage.«
»Nach einem Raumfahrer also«, sagt Marielouise, »einem Kosmonauten.«
»Wenn es Jurij Gagarin ist, ja«, antwortet Berndorf. »Wenn aber Neil Armstrong auf dem Mond herumspringt, ist er ein Astronaut. Ihr Kosmonaut ist sozusagen auch eine Zuckertüte. Das ist tückisch, wissen Sie? Die Worte haben die gleiche Bedeutung und gleich viel Buchstaben, aber bei dem einen geht das Rätsel nicht auf.«
»Nun sind es Sie, der die Rätsel aufgibt«, sagt Marielouise. »Ich kann Ihnen nicht so ganz folgen.«
Berndorf holt aus seinem Jackett das Taschenbuch hervor mit dem wie in einem Kreuzworträtsel gesetzten Titel »Kreuz-Verhör«. Er zögert kurz und hält es ihr hin. »Das ist es, worüber ich gestolpert bin. Eigentlich saß ich schon, trotzdem bin ich gestolpert. Aber das tut nichts zur Sache. Bei einem der Rätsel ist mit der Lösung begonnen worden, aber dann ging sie nicht auf, wenn Sie das Buch aufschlagen, werden Sie es vermutlich gleich sehen.«
Marielouise Hartlaub betrachtet das Taschenbuch. Es ist ein ratloser Blick, wie es Berndorf scheint. Ratlos, aber auch unversehens wachsam. Vor allem ist es ein Blick, der plötzlich aus sehr weiter Ferne kommt. Noch immer sitzen sie nebeneinander, der Hund liegt zwischen ihnen, aber nun sind sie sich wieder so fremd, als hätten sie sich nie über Liebesbriefe auf einem Speicher unterhalten.
»Warum wollen Sie mir dieses Buch zeigen?«
»Nehmen Sie es ruhig und sehen Sie es sich an«, sagt Berndorf.
Entschlossen greift sie danach. Das Buch blättert sich auf der Seite mit dem nur zum Teil gelösten Rätsel auf.
»Das ist…«, sagt sie und unterbricht sich. Abrupt steht sie auf, verharrt kurz, und geht die Treppe drei Stufen hinab. Dann dreht sie sich zu Berndorf um. Sie hat das Buch wieder zugeschlagen und hält es ihm hin. »Was soll ich damit?« Das Licht der Glühbirne, die über ihr in einen Blechschirm eingeschraubt ist, wirft scharfe Schatten in ihrem Gesicht.
»Ich sagte Ihnen doch, es ist tückisch«, plaudert Berndorf und macht eine Handbewegung, als wolle er das Buch zurückschieben, das sie ihm hinhält, »der Pächter ist ein Landwirt, ein Fermier, und hat deshalb nicht seine Frau, sondern seine Ferme in sein Herz geschlossen, aber dazu brauchen wir ein ›R‹, wo uns der Kosmonaut leider nur ein ›M‹ anbietet, und das Ding, das es selbst ist und zugleich hoch, ist ein Altar, ein alta ara, Sie werden das besser wissen als ich, aber dann muss der dritte Buchstabe des Raumfahrers ein ›T‹ sein…«
»Warum zeigen Sie mir dieses Buch?«
»Der Rätselmacher ging also vom Astro- und nicht vom Kosmonaut aus«, fährt Berndorf fort, »und bei 46 waagerecht fragt er zwar nach den 81 Versen des Lao-Tse, aber in der herkömmlichen Schreibweise Tao Te King, weshalb in 47 senkrecht das Recht, fürs rechte Wohl zu sorgen, die gutkatholische Kura ist. Übrigens finden Sie diese andere, vermutlich korrektere Schreibweise asiatischer und chinesischer Namen auch im angelsächsischen Raum, aber in der DDR hat sie sich früher durchgesetzt als in den alten Bundesländern…«
»Lassen Sie diesen Unsinn«, fährt ihn Marielouise Hartlaub an, »und erklären Sie mir endlich, was Sie mit Ihren Anspielungen bezwecken, und was mit diesem Buch? Welches Spiel spielen Sie? Warum überhaupt sind Sie hierher gekommen und haben sich Zutritt verschafft, ich weiß nicht wie? Denn ich bin sicher, dass die Tür zugezogen war.«
»Ich wollte Ihnen dieses Buch zurückgeben«, sagt Berndorf. »Wir wissen beide, dass es Ihnen gehört. Und dass es Ihre Schrift ist.«
Marielouise Hartlaub starrt ihn an. Ihr Gesicht ist blass, fast maskenhaft.
»Wo haben Sie dieses Buch gefunden?«
»Nur wer keine
Weitere Kostenlose Bücher