Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Sie blickt auf Meunier, ohne ein Wort zu sagen.
»Nee, Teuerste«, fährt Meunier fort, »Sie haben für Autenrieth die Beine breit gemacht, da werden Sie auch Bescheid wissen. Ich hoffe, es hat Ihnen Spaß gemacht. Jetzt geht es nicht mehr um Spaß, sondern um das Geld, das Autenrieth nicht gehört und Ihnen auch nicht. Es gehört uns. An Ultimo ist sowieso Schluss, dann kommt der Euro, und mit den alten Tausendern können Sie hier oben den Speicher tapezieren. Meinen Sie wirklich, Sie könnten so viel Geld umtauschen, ohne zu erklären, woher Sie es haben?«
Er macht einen Schritt die Treppe hinauf, aber in die Bewegung hinein platzt ein kurzes Knacken, Felix hat sich losgerissen und springt mit einem mächtigen Satz den Mann auf der Treppe an. Der Aufprall ist so heftig, dass Meunier den Halt verliert und nach hinten fällt, auf Kadritzke, der ihn auffängt und dabei selbst ins Straucheln kommt. Felix setzt nach und schnappt sich Meuniers Arm.
Auch Berndorf ist aufgesprungen und läuft die Treppe hinunter. »Felix«, brüllt er, »Fuß!«. Und während er in dem Gemenge aus Meunier, Kadritzke und Felix das Halsband seines Hundes zu packen versucht, drückt sich Marielouise Hartlaub an ihm vorbei, rennt zur Tür und in langen weiten Sprüngen das Treppenhaus hinunter.
»Fuß!«, brüllt Berndorf noch einmal, reißt Felix zu sich her und hält ihn am Halsband. Aus den Augenwinkeln sieht er, wie Kadritzke auf ihn zukommt.
Felix windet sich, um aus dem Halsband herauszukommen. Berndorf zerrt ihn einen Schritt zurück und noch einen.
Meunier zieht sich am Treppengeländer hoch. Der eine Ärmel seines eleganten blauen Mantels ist aufgerissen.
Kadritzke kommt noch einen Schritt auf Berndorf zu.
»Lass den Scheiß«, sagt Meunier. »Hol mir lieber die Frau zurück.«
Kadritzke zögert einen Augenblick. Dann dreht er sich um und setzt polternd die Treppe hinab.
»Der Mantel ist ruiniert«, sagt Meunier.
»Schicken Sie mir die Rechnung«, antwortet Berndorf.
»Wollen Sie nicht lieber die Karten auf den Tisch legen?«, fragt Meunier. »Allein kommen Sie doch auch nicht an das Geld.« »Und weshalb nicht?«
Meunier betrachtet noch immer den aufgerissenen Ärmel. »Weil Sie sonst gestern nicht zu dem Trottel Neuböckh gefahren wären.«
Weit draußen flammt ein scharfes, reißendes, rutschendes Geräusch durch die Nacht. Berndorf horcht auf. Es dauert eine Weile, bis er das Geräusch erkennt.
Eine Vollbremsung auf regennasser Straße.
»Die Nacht ist noch lang«, sagt Dr. Roman Kovacz, »wollen Sie einen Kaffee?« Tamar will gerne einen, und so bringt Kovacz ein Tablett mit einer angeschlagenen weißen Porzellantasse. »Sie trinken ihn schwarz, nicht wahr?«
Tamar blickt fragend.
»Ach so!«, sagt Kovacz. »Sie vermissen den Becher.« Der Becher war aus Porzellan und geblümt und trug die Aufschrift »Susi«. »Er ist mir abhanden gekommen. Und bisher habe ich keinen Ersatz gefunden. Jedenfalls keinen mit einem roten Herzen auf dem ›i‹, und sonst gilt es ja nicht.«
»Ich werde mich umsehen«, verspricht Tamar. »Gemalte Herzen sollten so schwer nicht zu finden sein.«
Dr. Roman Kovacz wirft einen Blick auf Tamar und setzt zu einer Frage an, die er dann aber doch lieber bleiben lässt.
»Sie kommen wegen Ihrer Moorleiche«, sagt er dann und setzt sich hinter seinen Schreibtisch. »Dass es kein steinzeitlicher Jäger ist, den Sie da herausgeholt haben, wissen Sie vermutlich schon selbst… Obwohl, ein bisschen kurz geraten ist er schon, die Leute sind heute größer, wären nicht die Fetzen gewesen, hätte ich auf den ersten Blick gedacht, es ist einer aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.«
Tamar nimmt einen Schluck. Der Kaffee ist heiß und kräftig, und so kann sie sich mit Geduld wappnen.
»Ein Blick auf das Gebiss zeigt es dann aber«, fährt Kovacz fort. »Teuer und sorgfältig saniert, eine Laborarbeit vom Ende der Achtzigerjahre, vermute ich mal. Das passt auch zum sonstigen Erhaltungszustand, was bedeuten würde, dass er vor etwa acht bis zwölf Jahren dorthin verbracht wurde, wo Sie ihn gefunden haben. Nicht eben groß, das sagte ich schon, knapp 1,70 Meter, aber keine durch Krankheit oder Unterernährung bedingten Mangelsymptome, einfach von Haus aus ein eher zierlicher Herr… Er ist etwa 45 Jahre alt geworden, die Wirbelsäule bereits etwas in Mitleidenschaft gezogen, aber nicht von schwerer körperlicher Arbeit.«
Tamar holt aus ihrer Jacketttasche den Umschlag mit dem Passfoto
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