Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Wagen.
Berndorf steht auf, das Taschenbuch in der Hand, und geht zu der Frau, die den Kerl im Lodenmantel gesehen hat.
»Sie müssen das der Polizei erzählen«, sagt er.
»Mit der Polizei will ich aber nichts zu tun haben…«
»Das ist jetzt zu spät«, antwortet Berndorf und steckt das Taschenbuch in seine Jacke.
Von der Frauenstraße her jault ein zweites Martinshorn auf.
Weißer Mantel, Tennisschuhe. Das blonde Haar zur Seite gekämmt. Goldbrille. Stethoskop in der Brusttasche. Es gibt Tage, an denen es knüppeldick kommt.
Normalerweise müsste frau jetzt das Nett-dich-mal-wieder-zu-sehen-Lächeln aufsetzen, strahlend und beschwingt, aber gerade deshalb mag Tamar nicht und begrüßt den Oberarzt Dr. Benno Burgmair so knapp und kühl, wie ihre Laune schlecht ist.
»Nett, dich mal wieder zu sehen«, sagt Burgmair, über dessen Gesicht sich eine leichte Röte gezogen hat, »hoffentlich kann ich was für dich tun?«
»Ihr habt da eine Frau auf der Intensivstation«, sagt Tamar und sieht in ihrem Notizbuch nach, »eine Marielouise Hartlaub, 41 Jahre alt. Ist vor drei Stunden von einem Wagen angefahren worden.«
Verdammt, denkt sie, sie hat diesen Namen schon einmal gehört, Kuttler hatte damit zu tun…
»Im Augenblick nur zur Beobachtung«, antwortet Burgmair, »schwere Gehirnerschütterung, Fraktur des rechten Armes, Prellungen. Der Neurologe muss sie sich morgen ansehen, die Erinnerung ist weg, eine partielle Amnesie, sie weiß, wer sie ist, aber sonst nicht mehr viel… Du hast also auch Dienst? Komisch …«
Ja, komisch, denkt Tamar. Als wir zusammen waren, hatten wir das nie gleichzeitig. Aber nicht deswegen, mein Lieber, ganz bestimmt nicht deswegen. Außerdem habe ich keine Zeit, um über die Vergangenheit zu turteln… Mit Hollerbach hatte es zu tun. »Kann ich mit ihr sprechen?«
»Eigentlich nicht«, meint Burgmair, »jedenfalls nicht, wenn sie schläft.«
Der Oberarzt geht ihr voran, Tamar folgt ihm, hat er diesen mantelschwingenden Schritt schon früher gehabt?
»Aber sag doch – wie geht es dir?«, will Burgmair wissen. »Lebst du wieder allein…? Ach, was red ich! Du bist ja mit…« Irgendwie weiß er nicht, was er weiter sagen soll. »Also wir wollen im Frühjahr heiraten, kennst du eigentlich Viviane? Ich glaube, sie würde dir gefallen.«
Wieso, verdammt, soll mir deine Schnepfe gefallen? Außerdem, mein Lieber, was machst du denn, falls sie es wider Erwarten doch tut? Ein dummes Gesicht machst du dann, ich bin nämlich nicht gut drauf und könnte auf sonst was für Einfälle kommen.
Sie treten in einen Raum, der von den pulsierenden Kurven zweier Monitore und einer Notbeleuchtung erhellt ist. In einem Bett hinter einem Paravent liegt eine Frau, das Alter ist schwer zu schätzen, ein scharf geschnittenes Profil, eingekerbte Linien, die vom Nasenflügel zum Mund führen, der Mund schmallippig und doch wie entspannt. Tamar ahnt Erschöpfung. Da ist jemand, der losgelassen hat.
Neben dem Bett erhebt sich ein Mann. Dunkler Anzug, dunkles welliges Haar, nach hinten gekämmt, Geheimratsecken, ein flaches Gesicht, aufmerksame dunkle Augen.
Tamar stellt sich vor, dann fällt ihr ein, dass sie diesen Mann schon einmal gesehen hat. Er hatte auf Kuttler gewartet.
»Hartlaub«, sagt der Mann mit leiser Stimme, »ich bin erst vor einer Viertelstunde gekommen, von einer Abschiedsveranstaltung in Stuttgart, Sie müssen entschuldigen, aber ich verstehe das alles gar nicht, meine Frau hatte sich unsere neue Wohnung ansehen wollen …«
Die Frau öffnet die Augen. Der Blick irrt durch den Raum, gleitet über Hartlaub und versucht sich an Tamar festzuhalten.
»Frau Hartlaub?«, fragt Tamar und beugt sich über das Bett, »können Sie mich verstehen? Ich bin Polizeibeamtin…«
»Ich kann Sie verstehen«, antwortet die Frau. Sie schließt wieder die Augen.
»Sie wissen, dass Sie im Krankenhaus sind?«
»Ja«, sagt die Frau und hält die Augen geschlossen. »Ich bin nicht zu Hause. Ich weiß.«
»Wissen Sie, was passiert ist?«
Keine Antwort. Der Oberarzt Burgmair macht einen Schritt auf Tamar zu und legt ihr die Hand auf den Arm. Sie zieht den Arm weg.
»Ich möchte jetzt nicht reden«, sagt die Frau. »Könnten Sie morgen kommen.«
»Ja«, antwortet Tamar, »ich komme morgen.«
Sie nickt dem Ehemann zu. Burgmair beugt sich zu ihm. »Vielleicht ist es besser, wenn Sie jetzt auch gehen. Ihre Frau wird morgen eher ansprechbar sein…«
»Lassen Sie mich noch einen Augenblick
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