Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
gesetzt. Aufflatternd retten sich die Krähen und suchen Zuflucht im Geäst der hohen, dünn belaubten Bäume. Auslaufend schlägt Felix einen Bogen und trottet zu Berndorf zurück.
Hollerbach, ja. Berndorf wirft von der Seite einen Blick auf seine Begleiterin.
Im Tageslicht sieht Tamar blass und müde aus, überrascht bemerkt er Fältchen in den Augenwinkeln, zum ersten Mal sieht er das an ihr.
Falls du mich nach diesem Artikel fragen willst: den hab ich auch schon gelesen. Frentzel wird es mir büßen.
»Die Feuerwehr hat Hollerbach heute Nacht aus seiner Wohnung geholt.«
»Das ist brav«, sagt Berndorf. »Brave Feuerwehrleute.« Red nicht so mit ihr wie mit diesem Hund. Aber was soll er schon sagen? Wenn das Dezernat I sich nach Hollerbach erkundigt, spricht das nicht für den Zustand, in welchem ihn die Feuerwehr abgeliefert hat.
»Zum Glück war noch so viel an ihm dran, dass sie ihn identifizieren konnten.«
Du sollst keine Gedanken lesen. Berndorf bleibt stehen und betrachtet Tamar.
Sie hat wirklich erste Fältchen. Wo war Hollerbach zu Hause? Sie wird es dir erzählen.
»Hollerbach hat in Lauternbürg gelebt, in einem Häuschen, das er von seiner Mutter geerbt hat.«
In Lauternbürg. Hinter den Lutherischen Bergen. Wo die Äcker so steinig sind wie die Herzen fromm. Oder war das umgekehrt?
»Hollerbach kam gegen Mitternacht aus dem ›Dorfkrug‹. Bezahlt hat er vier Weizen und zwei Dujardin.«
Ein solcher Mundgeruch will gepflegt sein.
»Im Brandschutt haben wir einen alten Elektroofen gefunden. So ein Ding mit Glühdrähten.«
Den Säufer und den Hurenbock, den friert es selbst im wärmsten Rock. Hat sich’s gemütlich gemacht. Ist eingeduselt. Darf man. Nach solch journalistischen Heldentaten.
»Der Alarm kam gegen 1 Uhr morgens. Ich war etwa eine halbe Stunde später draußen.«
Ein Mensch mit einem Schäferhund kommt entgegen. »Felix, hier!« Der Hundeführer hat Berndorf gesagt, dass er mit Schäferhunden vorsichtig sein soll. Boxer können keine Schäferhunde leiden. Vielleicht ist es auch umgekehrt.
»Ja so«, sagt er dann. »Da ist dem guten Hollerbach nach seinen vier Bieren aber nicht mehr viel Zeit geblieben.«
Felix kommt und lässt sich anleinen. Es ist eine schöne, neue lederne Leine, nicht mehr die abgerissene Laufkette von Wieshülen.
»Das Haus war voll von Zeitungen.« Tamar wirft ihm einen schiefen Blick zu. »Und von Negativen und Fotoabzügen. In der Küche hat er ein eigenes Fotolabor gehabt.«
»Ich dachte, diese Landreporter lassen ihre Filme im »Tagblatt« entwickeln. Damit sie dort gleich eingescannt werden, oder wie das heißt. Frentzel hat es mir mal erklärt.«
»Eben.«
Eben? So einfach: eben? Was hat er denn so entwickelt und abgezogen, daheim in der Küche?
»Sie haben nicht mit Hollerbach gesprochen?«
Ich habe es zu vermeiden gesucht, blasse schöne Frau … Und mach es nicht so spannend. »Er hat mich nach Jonas gefragt. Nach der Zeit, als wir zusammen in Stuttgart waren… Ich nehme an, Hollerbach wollte wissen, was dem vorangegangen ist. Warum Seiffert nach Stuttgart versetzt worden ist.«
Und das ist eine Geschichte, die schon wieder mit Lauternbürg zu tun hat. Mit dem frommen Lauternbürg samt seiner braven Freiwilligen Feuerwehr.
Und mit Häusern, von denen plötzlich rein gar nichts mehr da ist.
Tamars Handy jault. Sie meldet sich, im Neuen Bau ist Besuch für sie da, offenbar ist es ein dringlicher Besuch. Berndorf will sie nicht aufhalten. Vielleicht schaut sie noch einmal bei ihm vorbei, wenn sie in der Gerichtsmedizin war.
Dann sieht Berndorf ihr nach, wie sie mit raschen Schritten zurückgeht, an den Grabmälern alter Ulmer Patrizier vorbei, und ihr brauner Mantel weht um ihre langen Beine.
Was Jonas Seiffert mit Lauternbürg zu schaffen hatte, hätte er ihr trotzdem noch erzählen können. So viel Zeit sollte sein. Aber dieser Fall hat sich vor vierzig Jahren abgespielt, und er kennt ihn nur aus zweiter Hand. Was soll er Tamar den Kopf damit zumüllen? Am Ende war es doch nur der Elektroofen, und der Hollerbach hat in seinem Rausch nichts gemerkt, bis er weg war, hinüber und abgefackelt.
Er befindet sich an einer Wegkreuzung, links neben ihm mahnt das Grabmal des Militärdekans Fortunat Fauler (1775–1827) die Lebenden, überhaupt ist es das, was die Toten noch ganz gut können. »Da ist noch eine Geschichte …«
Jonas hat das gesagt.
Unwillkürlich ist er stehen geblieben, zwischen den Bäumen sieht er am
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