Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
beherbergt, zur Altstadt. Fern übt jemand Tonleitern auf einem Klavier.
Der Blautopf, um den sich sonst Busladungen von Touristen drängen, ist verlassen. Am Steinbild der Schönen Lau vorbei geht sie einige Schritte den baumbestandenen Weg hoch, der um das Quellbecken führt. Traurig sieht die Schöne aus, ausgezehrt vom sauren Regen. Tamar hat Mörikes Geschichte von der Schönen Lau in der Schule gelesen. In einer württembergischen Schule ist das unvermeidlich. Sie weiß noch, dass es eine traurige Geschichte gewesen sein muss: eine verbannte Halbnymphe, die erst in ihre Heimat zurückkehren darf, wenn sie das Lachen gelernt hat…
Und das ausgerechnet hier. Das leuchtende Blau des Quelltopfs kommt ihr vor wie Kupfervitriol. Ist das Depression? Ein Glassplitter im Auge, der einen alle Dinge hässlich und verfallen sehen lässt…
Schließlich tut Tamar, wovor sie schon eine ganze Weile Angst hat. Sie holt ihr Mobiltelefon aus der Tasche und gibt eine Kurzwahl ein. Das Telefon läutet viermal, es meldet sich eine ruhige warme Stimme, die nicht die ihre ist:
»Hier spricht der Anrufbeantworter von Tamar Wegenast und Hannah Thalmann. Leider sind wir nicht zu Hause …« Sie drückt auf die Taste, die die Verbindung abbricht, und tippt eine zweite Kurzwahl. Aber auch bei Hannahs Handy meldet sich nur die Box.
Sie hat keine Lust, eine Nachricht zu sprechen. Was soll sie auch sagen? Ich weiß nicht, wann du heimkommst. Ich weiß nicht, was los ist. Ich häng in der Luft… Hannah weiß das alles. Sie muss es wissen. Offenbar ist es ihr egal.
Plötzlich weiß Tamar, dass sie diesen Quelltopf und dieses Blau hassen wird.
Noch immer hält sie das Mobiltelefon in der Hand. Erst jetzt sieht sie, dass eine Textmeldung eingetroffen ist:
Hol pleite wollte weg Lockenkopp fragte nach
Sie verzieht das Gesicht und gibt eine dritte Kurzwahl ein. Nach zwei Rufzeichen meldet sich Kuttler.
»Moment«, sagt er und klingt irgendwie belegt. Tamar hört Schritte und das Geräusch einer Tür.
»Hier bin ich wieder«, sagt er dann, und seine Stimme ist auch wieder klarer. »Ich bin nur grad’ im ›Adler‹, Wurstsalat mit Bratkartoffeln, in der Gaststube wollte ich nicht reden.« Dann will er wissen, ob Tamar nicht vorbeikommen kann und Gesellschaft leisten.
»Erklär mir lieber die Simse. Ich versteh sie nicht.«
»Hollerbach war notorisch klamm«, sagt Kuttler dann, »weshalb er seiner Oma ihr klein Häuschen verkaufen wollte, was sagst du nun?«
»Was ist mit dem Lockenkopp?«
»Soll ein paar Stunden vor dem Brand in der Siedlung herumgefahren sein. Aber es hat wohl nichts zu bedeuten«, fährt Kuttler fort. »Das andere ist wichtiger. Hollerbach wollte fort von hier, wollte irgendwo neu anfangen, offenbar auch privat. Jedenfalls haben sie uns das bei der Kreissparkasse erzählt. Der Bankmensch hat ein weinrotes Jackett und eine gelbe Krawatte dazu, soll ich mir so was auch mal zulegen?«
»Sei mal still«, sagt Tamar. »So eine besonders lustige Nachricht ist das gar nicht.«
»Weiß ich, Commander«, antwortet Kuttler. »Wenn Hollerbach von Lauternbürg weg wollte, hat er keinen Grund mehr gehabt, die Zigeunergeschichte nicht aufzurühren.«
Kuttler schaltet das Handy aus und steckt es ein und geht zurück, das Bier ist leider abgestanden, und so bestellt er einen Kaffee, was ihm auch die Gelegenheit gibt, mit der Bedienung zu reden.
Die Bedienung heißt Sonja und ist ein schmales brünettes Mädchen, sie hat am Abend, als der Brand war, im »Adler« bedient …
»Ich habe es auch Ihrer Kollegin gesagt, der Herr Hollerbach war fast bis zur Polizeistunde hier und hat vier Weizen und zwei Dujardin gehabt…«
»Hat er denn auch bezahlt?«
»Oh, ich seh schon, Sie wissen Bescheid«, sagt Sonja, »aber vorgestern hat er bezahlt und hat auch ein ganz nettes Trinkgeld gegeben. Das war eigentlich immer so. Wenn er bezahlt hat, hat er auch Trinkgeld gegeben. Obwohl …«
Kuttler wartet, aber das Obwohl wird nicht erklärt, es bleibt bei einem anmutigen Zucken der Schultern.
»Er war Stammgast hier?«
»Früher«, kommt es nach kurzem Überlegen. »In letzter Zeit kam er eher selten.«
»Vielleicht, weil er mit anderen Gästen Ärger hatte? Ich meine, er hat doch für die Zeitung geschrieben, und was in der Zeitung steht, gefällt nicht jedem.«
»Ach, da sind unsere Stammgäste nicht so«, antwortet Sonja. »Die haben das eher von der lustigen Seite genommen. Manchmal haben sie laut vorgelesen, was im
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