Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Paco. Weißt du das nicht mehr?« Dann wendet sie den Blick von ihm ab. »Und jetzt machst du, dass du hier rauskommst.« Plötzlich wird die Stimme laut, aufkreischend wie eine Kreissäge. »Raus hier …«
»Is’ ja gut«, antwortet der Kerl und weicht einen Schritt zurück, »ich frag ja bloß …«
»Raus!«, schreit die Chefin, und ihre lange knochige Hand mit den schreiend rot lackierten Fingernägeln weist unerbittlich zur Tür. Vom Stammtisch schauen die drei Männer mit belustigten Männergesichtern zu. Tamar steht auf und legt Paco die Hand auf den Arm. »Kriminalpolizei. Ich hätte gerne…«, sagt sie, aber Paco wischt sie mit dem linken Arm zur Seite wie eine Schaufensterpuppe, nur dass die Schaufensterpuppe plötzlich Pacos Arm wie einen Hebel packt und herumreißt und Paco mit dem Schwung seiner eigenen Bewegung zur Seite wuchtet, dass er gegen den Tisch stolpert und Kaffeekännchen samt Käsebrot unter sich begräbt.
»Und jetzt…«, setzt Tamar an, als ein heftiger Stoß sie zur Seite rempelt. Für einen Augenblick muss sie Pacos Arm loslassen, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Der Stoß kam von dem Menschen in dem karierten Jackett. Neben ihm drängt sich der Lagerverwalter heran. »Moment, gnä’ Frau«, sagt der Karierte, »lassen Sie mal die Fachleute ran!«
Paco stößt sich von dem Tisch ab und hechtet zur Seite und schlägt eine Rolle und ist wieder auf den Beinen, ehe Tamar auch nur nach ihrer Dienstwaffe hätte greifen können.
Außerdem wäre das auch ganz und gar sinnlos gewesen. Der Karierte steht jetzt zwischen ihr und Paco.
Die Chefin hat sich hinter die Theke geflüchtet. Am Stammtisch hebt der Mann im blauen Anton sein Glas und sagt: »Zum Wohl!« und trinkt. Paco, geduckt, macht einen Schritt auf den Karierten zu, dann schlägt er mit der Linken eine Finte und mit der Rechten einen Haken, der den Karierten knapp unterm Brustbein trifft und ihn krachend gegen den Geldspielautomaten schleudert.
Rasselnd beginnen die Räder des Automaten sich zu drehen. Dem Karierten knicken die Beine weg.
»Jetzt mal friedlich«, sagt der Lagerverwalter und weicht zurück, wobei er gegen Tamar stolpert.
Paco hilft nach, indem er ihm mit der flachen Hand einen Stoß gibt. Der Lagerverwalter fällt nach hinten, Tamar muss ihn auffangen und sieht Paco noch aus der Tür rennen. Dann herrscht für einen Augenblick Ruhe. Nur die Räder des Automaten drehen sich rasselnd.
Tamar stößt den Lagerverwalter von sich. »Idiot!«
Der Karierte krümmt sich auf dem Boden und schnappt nach Luft. Es hat ihn am Solarplexus erwischt, denkt Tamar. Das gibt sich von selbst. Sie holt ihr Mobiltelefon heraus und gibt die Kurzwahl der Zentrale ein.
»Beleidigen muss ich mich von Ihnen nicht lassen«, sagt der Lagerverwalter.
»Wegenast hier«, meldet sich Tamar, »ich habe eine Fahndungsmeldung …«
»Unglaublich«, sagt der Lagerverwalter, »da will man der Polizei behilflich sein, und muss sich beleidigen lassen.«
Tamar hat durchgegeben, was ihr zu Paco einfällt. Sie schaltet das Handy ab. Auf dem Tisch vor ihr liegen die zermantschten Reste des Käsebrotes zwischen den Scherben der Kaffeetasse. Bräunlich tropft Kaffeebrühe vom Tisch auf den Boden. Das Räderwerk des Geldspielautomaten ist zum Stillstand gekommen und zeigt dreimal »Niete« an.
»Also ich sag euch«, sagt der Mann im blauen Anton, »dieses Bier ist wirklich nicht zu trinken.«
Es ist dämmrig geworden. Die Straßenlampen haben Lichtglocken in den Dunst gehängt, später am Abend wird es Nebel geben.
Berndorf und Felix verlassen das »Tagblatt«-Gebäude. Vor einer guten halben Stunde sind sie mit dem Zug zurückgekommen, nach einem Nachmittag, von dem Berndorf nicht weiß, wozu er gut war. Außer, dass er einem alten Mann ein bisschen Gesellschaft geleistet hat. Ist das nichts?
Im »Tagblatt«-Archiv hat er sich zwei Artikel heraussuchen lassen über den letzten Landrat des Landkreises Wintersingen. Der Landkreis war zu Beginn der 70er-Jahre aufgelöst und der Landrat in der letzten Zusammenkunft des Kreistags Wintersingen verabschiedet worden. Eine Regionalausgabe des »Tagblatts« hatte ausführlich darüber berichtet. Der zweite Artikel war ein Nachruf, gut zehn Jahre später erschienen.
Nichts davon geht mich etwas an, denkt er, während er vor dem Gebäude des Landgerichts nach links zur Stadtmitte abbiegt und der Hund neben ihm hertrottet, gleichgültig, aber auch so, als ob ihn nichts müde machen oder
Weitere Kostenlose Bücher