Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
erschüttern könne. Berndorf hat Hunger und will einen Teller Spaghetti oder einen Risotto essen, nicht nur ein Sandwich bei Tonio.
Spaghetti könnte er auch auf seinem eigenen Herd kochen. Aber wenn er jetzt nach Hause geht, dann würde ihn die Übelkrähe schon hinter der Wohnungstür anfallen und ihm ins Ohr zischeln, was für ein lustiges Leben er hat mit einem verwaisten alten Hund als Gefährten…
Von der Frauenstraße wenden sich Herr und Hund nach rechts und gehen in das Café, das durch die Jahrzehnte hindurch den Stil der frühen Ulmer Sachlichkeit weniger bewahrt als vielmehr durch langen Gebrauch mit einer Patina überzogen hat. Das Café ist gut besucht, dennoch findet Berndorf einen Tisch am Fenster. Ohne dass er darum hätte bitten müssen, wird eine Schale Wasser für Felix gebracht. Berndorf bestellt einen Risotto und eine Portion Tee dazu und das »Tagblatt«, denn alle anderen Zeitungen, die aushängen, haben schon ihre Leser gefunden. Den Umschlag mit den Kopien hat er vor sich auf den Tisch gelegt.
Chefredakteur Dompfaff wirft die Frage auf, »ob nach den jüngsten Terroranschlägen das noch der richtige Zeitpunkt für ein liberales Zuwanderungsgesetz ist…« Eine Motte irrt vor Berndorfs Gesicht, er nimmt die Zeitung und wedelt sie damit weg. Dann blättert er weiter und findet den Nachruf auf Eugen Hollerbach…
… Er war ein Heimatjournalist im besten Sinne des Wortes, voll wacher Aufmerksamkeit für Menschen und ihre Geschichten. Wann immer er in unsere Redaktion kam, im offenen Trenchcoat, mit ansteckender Fröhlichkeit das vollgeschriebene Notizbuch in der Hand schwenkend, wehte mit ihm der Geruch des Lautertals herein und wir wussten: Eugen Hollerbach bringt wieder reiche Ernte ein. In der Nacht zum Mittwoch ist er in seinem geliebten Lauternbürg tot von der Feuerwehr aus seinem brennenden Haus geborgen worden. Noch wissen wir nicht, wie es zu dem tragischen Tod …
Was schreibt Frentzel da? Es war der Geruch nach vier Weizen und zwei Dujardin, mindestens … In den Nachruf eingeblockt ist ein Foto, das ein lachendes, rundes, glattes Gesicht zeigt, mit vollem Haar. Das Foto muss gut und gerne 15 Jahre alt sein, denkt Berndorf, für eine Recherche völlig unbrauchbar. Aber dann bringt der Kellner auch schon den Risotto mit anderthalb Garnelen darin, Berndorf isst mit gutem Appetit, jedenfalls wird der Teller leer. Die Motte hat sich an der Tischkante niedergelassen.
Er greift wieder nach der Zeitung, als ihm die Frau ins Auge fällt, die mit einem rothaarigen Buben an der Hand – der Junge ist neun oder zehn Jahre alt – im Café steht und sich suchend umblickt. Berndorf zögert kurz, er hat nicht damit gerechnet, dass er Marielouise Hartlaub so bald wiedersehen wird. Dann begegnen sich ihre Augen, und die Frau lächelt kurz, wieder ist das Lächeln nur angedeutet, Berndorf weist auf die zwei freien Stühle an seinem Tisch und erhebt sich, als die Frau auf ihn zukommt.
»Ich hoffe, Sie haben beide kein Problem mit meinem Hund«, sagt er, als sie sich die Hand geben.
Der Händedruck ist fest, sachlich. Du hast, denkt Berndorf, etwas zum ersten Mal gesagt. Mein Hund, hast du gesagt.
»Aber nein«, antwortet Marielouise Hartlaub, »ich habe Pascal Ihre Geschichte erzählt, er ist ganz neugierig auf Felix und will ihn unbedingt kennen lernen.«
Pascal nickt und verbeugt sich artig, als er Berndorf die Hand gibt, aber wählt dann doch von den beiden Stühlen den, der etwas weiter von Felix entfernt ist. Der hat sich inzwischen auf die Seite gelegt und schläft, Vorder- und Hinterläufe weit ausgestreckt.
Der Kellner kommt und nimmt die Bestellung der Hartlaubs entgegen. »Für ihn vielleicht eine Brause«, schlägt die Mutter vor, der Kellner runzelt die Stirn, Pascal will eine Cola, schließlich wird ein Apfelsaft in Auftrag gegeben. Berndorf erkundigt sich, wie weit die Vorbereitungen des Hartlaub’schen Umzugs gediehen sind.
»Das wollen Sie nicht wirklich wissen«, antwortet Marielouise Hartlaub. »Bitte nicht. Ich habe mir das Haus angesehen, das wir beziehen werden, ein schönes Haus, ich sage gar nichts dagegen. Aber wenn ich daran denke, was wir allein an Vorhängen und Stores in Auftrag geben müssen, und was sich dabei an Missverständnissen und Irrtümern einschleichen wird, einfach, weil die jungen Mädchen in den Läden nicht mehr zuhören können oder nicht mehr richtig aufschreiben oder nicht mehr lesen…« Sie unterbricht sich und betrachtet Berndorf
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