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Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Titel: Der Hund des Propheten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Tempel vertreibt?«
    »Es ist schade, dass Sie ihn nicht erlebt haben«, antwortet Ringspiel. »Sie hätten von ihm lernen können, dass man keine unnützen Worte macht. Aber wenn Sie’s wirklich wissen wollen – er hat über Abraham und Lot gepredigt, vielleicht erinnern Sie sich …«
    »Ich bin nicht bibelfest«, meint Berndorf.
    »Das hätte mich auch gewundert«, sagt Ringspiel. »Aber es schadet keinem, wenn er’s weiß … Abraham und sein Neffe Lot zogen mit ihren Herden nach Norden, nach Kanaan, aber ihre Herden waren zu groß geworden.« Er hebt den Kopf und seine Stimme bekommt einen getragenen Klang: »Und das Land ertrug es nicht, dass sie beieinander blieben…« Der getragene Ton bricht wieder ab. »Die Hirten stritten sich um die Weideplätze, und Abraham sagte zu Lot, sie seien doch Brüder und müssten keine Händel miteinander haben.« Noch einmal hebt Ringspiel die Stimme. »Steht dir nicht das ganze Land offen? So trenne dich doch von mir. Willst du zur Linken, so gehe ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so gehe ich zur Linken …«
    »Für jemanden, der es nicht mehr so mit der Kirche hat, ist Ihnen das noch sehr gegenwärtig«, sagt Berndorf. »Alle Achtung. Ich weiß nicht einmal mehr meinen Konfirmationsspruch … Die Predigt lief vermutlich darauf hinaus, dass Abraham im Lautertal blieb? Ein Glück, dass die deutschen Innenminister heutzutage keine Bibel mehr lesen, es wäre ihnen ein gefundenes Fressen… Und wann hat Ihr Pfarrer Hartlaub darüber gepredigt? Am Sonntag vor der Woche, in der das Haus abgebrochen wurde?«
    »Ja«, antwortet Ringspiel. »Am Sonntag davor. Das hat im Dorf keiner vergessen. Aber dass Sie jetzt nichts Falsches denken: Er hat davon gesprochen, dass Abraham und Lot Brüder seien. Das ist doch« – er sucht nach einem Wort – »menschlich ist das doch, und kein Hass darin.«
    »Gewiss doch«, sagt Berndorf. »Und ganz geschwisterlich bricht der eine Bruder dem anderen die Hütte ab. Steht ihm nicht das ganze Land offen? Aber wie war das damals nun mit den Pfadfindern? Haben die den Verkehr geregelt, während das fromme Werk in Gang gesetzt wurde? Oder die Ziegel weggekarrt?« Eigentlich hatte er statt Pfadfindern Junge Pioniere sagen wollen, aber dann war ihm eingefallen, dass das eine andere Geschichte ist aus einem fast anderen Land. Von der Seite sieht er, dass Ringspiels Gesicht sich verändert hat.
    »In den Zeitungen stand«, sagt eine mühsam beherrschte Stimme, »dass das gesamte Dorf beteiligt war. Wenn das wahr ist, werden auch die Pfadfinder dabei gewesen sein.«
    So kommst du mir nicht davon, denkt Berndorf. »Eigentlich wollte ich wissen, wie Sie das erlebt haben«, setzt er nach.
    »Muss sich der Sohn des Bürgermeisters aus so etwas heraushalten, oder macht er ganz vorne mit?«
    »Meinen Vater lassen Sie da heraus«, antwortet Ringspiel schroff. »Damit Sie es wissen: Ich bin dabei gewesen, und es ist mir nicht recht. Genügt Ihnen das?«
    »Und der Sohn des Landrats?«
    »Warum wollen Sie das alles wissen?«
    »Es ist nichts weiter dabei«, antwortet Berndorf. »Mich interessiert dieser junge Mann von damals, der Sohn des Landrats, der Vater zeigt den Bauern, wo es langgeht, und der Sohn zeigt es den Bauernsöhnen, früh übt sich, was ein Chef werden will, Schwimmstunden in der Lauter, Fährtensuche auf der Wacholderheide, Constantin Autenrieth – so heißt er doch? – immer vorne dran, weiß immer noch einen neuen Knoten oder einen neuen Trick und wie man nach dem Gummiring taucht. Vielleicht haben Sie und die anderen Burschen ihn bewundert, und vielleicht hat es ihm gefallen, bewundert zu werden… Was tut so einer, wenn im Dorf eine solche Geschichte hochkocht wie damals mit den Zigeunern?«
    Ringspiel schweigt. Plötzlich wirft er einen forschenden Blick auf Berndorf. »Was ist mit Ihrem Bein?«
    Ohne dass er sich dessen bewusst geworden wäre, hat Berndorf zu hinken begonnen. Sofort zwingt er sich, damit aufzuhören. Hinken macht es nur schlimmer. Außerdem zerrt der Hund an der Leine. Das kommt, weil er keinen humpelnden Chef akzeptiert.
    »Ich hatte einen Unfall«, antwortet Berndorf. »Es ist schon eine Weile her, und es ist alles wieder zusammengewachsen. Aber die längeren Wege muss ich erst wieder üben.«
    »Morgen wird es Regen geben«, meint Ringspiel. »Leute, die eine alte Verletzung haben, spüren es oft, wenn das Wetter umschlägt.« Dann bietet er an, vorauszugehen und Berndorf mit dem Wagen abzuholen.

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