Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
schwimmt ein Stockentenpärchen. Das erinnert ihn an eine Briefkarte, die er vor ein paar Tagen in seiner Post gefunden hat und die auf den ersten Blick aussah wie der Neujahrsglückwunsch eines chinesischen Restaurants: ein Aquarell, Bäume über einem Gewässer, dazu Schriftzeichen getuscht. Auf der Innenseite der Karte stand ein Vers und darunter handschriftlich: »Statt eines Grußes… F.« Jetzt, im Regen, versucht er, sich an den Vers zu erinnern. Mit einiger Mühe bringt er zusammen:
Wer kann schon ruhig warten,
bis sich der Schlamm gesetzt hat?
Wer kann das Ruhende bewegen,
bis es sich allmählich belebt?
Der Wald nimmt Hund und Wanderer auf. Die Lauter verschwindet zwischen den Bäumen, nur manchmal noch schimmert von ferne eine Flusswindung. Der Weg ist voll von Pfützen, Regentropfen fallen auf das Wasser und machen konzentrische Kreise.
Vorne bleibt Felix an einer Wegkreuzung stehen und wartet, hängeköpfig, hundsgeduldig. Der Pfad trifft hier auf den ausgeschilderten Wanderweg, den Berndorf gestern mit Ringspiel gegangen ist. Eine Fahrspur zweigt nach rechts ab, zur Jagdhütte des Lauternbürger Landmaschinenhändlers mit den viereckigen Manieren und den karitativen Verbindungen. Vorsichtshalber nimmt er Felix an die Leine, und während er das tut, hört er durch den Wald Motorengeräusch.
Etwas treibt Berndorf, hinter einer Wacholderhecke Deckung zu nehmen, den Hund dicht bei sich haltend. Die Hecke zieht sich einen Hang entlang, einige Schritte oberhalb des Weges. Er hockt sich auf einen moosüberzogenen Baumstumpf und schiebt einen stachligen Wacholderzweig zur Seite, um Sicht auf den Waldweg zu haben. Das Motorengeräusch nähert sich. Zu spät hat er bemerkt, dass das Moos nass vom Regen ist wie ein voll gesogener Schwamm. Ein Daimler-Landrover kommt in Sicht. Der Regen ist stärker geworden und die Scheibenwischer des Wagens haben zu tun, um das Wasser von der Frontscheibe zu schaffen. Der Fahrer ist durch die beschlagenen Seitenscheiben nicht zu erkennen. Aber den Wagen hat Berndorf schon einmal gesehen. Gestern war das.
Dann ist der Landrover vorbei, ächzend stemmt sich Berndorf hoch. Den nassen Arsch hätte er sich ersparen können. Der Fahrer hat genug zu tun, den Wagen auf dem schlammigen Waldweg zu halten. Wie soll er da sehen, ob einer unter den Bäumen steht…
Steifbeinig steigt er auf den Waldweg hinab und folgt der Fahrspur, Felix an der Leine neben sich. Der Regen tropft auf den Hut, die nassen Hosen kleben ihm am Hintern und in seinen Schuhen quatscht das Wasser und beantwortet ganz von selbst die Frage, warum der Jagdpächter Neuböckh schon wieder den Landrover genommen hat, um nach seinem Revier zu sehen.
Der Weg macht eine Biegung. Durch die Bäume erkennt Berndorf die Umrisse eines ausladenden, tief gezogenen Daches. Er bleibt kurz stehen, klettert dann die Böschung hinab und sucht zwischen den Stämmen Deckung, den widerstrebenden Felix mit sich zerrend. Vorsichtig schiebt er sich zu der Lichtung vor, auf der die Jagdhütte steht. Aus der Nähe erscheint sie eher als ein Jagdhaus, zwar aus Holz gebaut, aber massiv, mit einer Veranda unterm vorgezogenen Dach.
Der Landrover ist abseits unter Bäumen geparkt. Der junge Mann, der zwei voll gepackte Plastiktüten ins Haus trägt, ist schlank, regennasse schwarze Haare hängen ihm in langen Strähnen ins Gesicht.
Berndorf nimmt seinen Hut ab, der zu hell ist und zu auffällig. Beißend kalt fährt ihm eine Bö ins Haar.
Der Jagdpächter Neuböckh – Kniebundhosen, grüne Windbluse – steht auf der Veranda und sieht dem jungen Mann zu, der die Plastiktüten auf der Veranda abstellt, hinter einer massiven Balustrade aus grob behauenen Balken.
Berndorf wirft einen Blick auf seinen Hund. Felix steht neben ihm, den Kopf vorgestreckt, witternd, auf seinem Rücken richtet sich ein Streifen nasses Fell auf. Eilig sucht Berndorf in der Tasche seines Anoraks nach Trockenfutter. Einen knurrenden Hund kann er jetzt nicht brauchen.
Die beiden Männer wenden sich einander zu. Inzwischen schüttet es. Berndorf muss die Augen mit der Hand abschirmen, trotzdem kann er nur verschwommen erkennen, was sich an der Hütte tut. Das Trockenfutter steckt in einer Tüte und muss erst herausgekrümelt werden.
Auf der Veranda ist es offenbar Neuböckh, der die Unterhaltung bestreitet. Seine Hand unterstreicht und bezeichnet und verdeutlicht. Sie beschreibt ein Kommen und ein Abwehren, ein Fragen und ein Nicht-Antworten.
Berndorf
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