Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Berndorf will das nicht und macht sich daran, die letzten zweieinhalb Kilometer möglichst unverkrampft weiterzugehen, auch wenn der Schmerz bis in die Hüfte hochstrahlt. Er zwingt sich, gleichmäßig zu atmen, die Füße nicht schleifen zu lassen, was tut er sich da an! Reicht es nicht, dass er sich diesen Hund zugelegt hat? Was gehen ihn diese vierfingrigen Leute an, diese Blechmarken-Warte und Landmaschinenhändler, ungläubig Gewordene und bigott Gebliebene? Am Abend wird er in Berlin anrufen. Was wird er tun, wenn Barbara sagt: Komm doch einfach, Hundefutter gibt es auch beim Aldi hier in Dahlem?
Aber Barbara wird das nicht sagen. Barbara wird übermorgen zu einer Tagung nach Helsinki fliegen, da ist er in Lauternbürg so gut aufgehoben wie in Dahlem. Ein Rentner ist überall zu Hause, nirgendwo hat er wirklich etwas zu tun.
»Sie haben nach dem Constantin gefragt«, sagt Ringspiel und unterbricht das Schweigen, das nun schon wieder eine ganze Weile zwischen ihnen herrscht. »Es ist schon wahr, wir haben ihn bewundert. Vielleicht braucht man das als junger Mensch, dass man jemanden bewundern kann… Und der Constantin, der hatte etwas. So ein Lächeln, und ein Funkeln in den Augen.«
»Aber irgendwann hat sich diese Bewunderung bei Ihnen wieder gegeben?«
»Es war Constantin gewesen, der diese Idee aufbrachte«, sagt Ringspiel. »Die Idee, das Haus abzubrechen. Im Dorf hatten sie es anzünden wollen. Er hat es uns ausgeredet, mit dem Strafgesetzbuch von seinem Vater in der Hand. Ich seh es noch wie heut. Wir sind in der Alten Schmiede, das war unser Treffpunkt, und der Constantin hat sich auf die Drehbank gesetzt und sagt uns, dass wir das Haus nicht anzünden sollen, sondern abbrechen. Und wenn uns einer fragt, sollen wir sagen, in dem Haus hat es Ratten gegeben. Und jeden Augenblick hat es einstürzen können. Das sollten wir sagen.«
Ringspiel schweigt. Berndorf wagt einen Schuss ins Blaue. »Aber als das Haus dann wirklich abgebrochen wurde, war er nicht dabei?«
Ringspiel wirft ihm einen kurzen Blick zu. »Warum fragen Sie, wenn Sie es wissen? Aber Sie haben Recht, er war nicht da. Er war in England, als Austauschschüler.«
Der Wald weicht zurück, vor ihnen kommen das Tal und Lauternbürg in Sicht, die Dächer aufragend aus dem Nebel, der von der Lauter aufsteigt.
»Ich bring Ihnen nachher einen Franzbranntwein«, sagt Ringspiel.
Tamar sitzt im Bademantel vor Berndorfs PC, hält sich an einem Glas Whisky fest und betrachtet mit kaltem Interesse die Homepage einer Münchner Galerie. Fotos zeigen alternde Kunstkritiker und ihre in knapp sitzendes Leder gepackte Ganymeds, Society-Lesben, die mal eben andersrum sind, gerade so auf die Schnelle, wie sie sich einen Leopardenmantel umwerfen, bebrillte Intellektuelle mit diesem Blick, der sagt: dies hier ist ein wichtiges Ereignis, denn ich bin ja dabei … Mit wirklich kaltem Interesse? Das bildest du dir nur ein, sagt sich Tamar und klickt das Foto einer nicht mehr ganz jungen Frau an, so dass das etwas füllige Gesicht mit der unerwartet spitzen Nase sich bildschirmbreit aufbaut.
Du also bist das, denkt sie.
Das Telefon meldet sich. Sie greift nach dem Hörer, besinnt sich dann aber und wirft einen Blick auf das Display.
Es ist ihre eigene Nummer, die dort angezeigt ist. Also ist es Hannah, die anruft. Woher weiß sie …?
Sie muss gar nicht wissen. Hannah sucht nach ihr, und weil sie nicht weiterweiß, ruft sie beim Alten Mann an. Warum aber sucht Hannah nach ihr? Muss sie eine Nachricht weitergeben?
Es gibt keine, die wichtig wäre. Die Vermittlung im Neuen Bau weiß, wo sie zu erreichen ist.
Außerdem ist alles auf den Weg gebracht und die Staatsanwaltschaften in Italien und Griechenland sind eingeschaltet. Wenn Paco irgendwo zwischen dem Lautertal und der Grenze den Lastzug übernehmen sollte, wird ihn die Grenzpolizei erwischen. Und wenn er erst nach der Grenze zugestiegen ist, werden ihn die Italiener in Ancona festnehmen oder die Griechen in Patras.
Berndorfs Telefon hat einen leisen, nervenden Rufton.
Warum ruft Hannah an? Ein grauenvolles letztes Beziehungsgespräch? Die so etwas wollen und darum betteln, dass es einen Stein erweicht, das sind doch immer die, mit denen Schluss gemacht worden ist. Die man abserviert hat. Aber nicht Tamar hat mit Hannah Schluss gemacht. Keineswegs ist es Hannah, die abserviert wurde. Was also gibt es da noch zu bereden?
Der Rufton bricht ab. Tamar wendet sich wieder dem Bildschirm zu.
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