Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Rücken ist ein dichter Streifen Fell aufgerichtet.
»Wer lässt denn dieses Tier hier herein«, klagt der Pfarrer und blickt aus seinen großen runden Brillengläsern vorwurfsvoll zu Berndorf, als hätte er in diesem nun endlich eine zuständige Aufsichtsperson gefunden. »Sehen Sie denn nicht, dass wir hier eine Beerdigung haben …«
Vom Grab her antwortet, leise und doch unüberhörbar, ein tiefes Knurren, das Vibrieren einer aufgestörten und verzweifelten Hundeseele.
Aber als Marzens Erwin nach dem Hund greifen will, wird das Knurren scharf und warnend, Lefzen ziehen sich hoch und legen das Gebiss frei mit den großen gelblichen Reißzähnen, so dass die Hand von Marzens Erwin gleich wieder zurückzuckt.
»Können Sie denn gar nichts tun!«, jammert der Pfarrer.
Berndorf steigt über den Hügel mit der ausgehobenen Erde. Felix ist noch drei oder vier Schritte von ihm entfernt. Erst jetzt sieht er, wie mager der Hund geworden ist. Er ist grau um die Schnauze, und die Flanken sind eingefallen.
Überlege dir gut, was du tust. Wenn du ihn jetzt rufst und er kommt, gibt es kein Zurück.
Aber dann soll es so sein.
»Hier, Felix«, sagt er zu dem Hund. »Guter Hund. Hierher.« Er spricht ruhig, hebt nicht einmal die Stimme.
Es geschieht nichts. Der Hund steht weiter da, zur Menge gerichtet, den Kopf kampfbereit gesenkt. Hinter dem Sarg wartet die Trauergemeinde in stummem Vorwurf. »Braver Felix«, wiederholt Berndorf.
Der Hund rührt sich nicht. Aber der Stummelschwanz bewegt sich leise und schlägt dann aus, ein-, zweimal.
»Hier!«, sagt Berndorf. »Es ist gut. Wir gehen jetzt.«
Die Zeit löst sich von den Brillengläsern des Pfarrers und geht wieder ihren Gang, Felix wendet sich zögernd von der Menge ab und nähert sich Berndorf, widerstrebend, fast scheu, ohne hochzusehen.
»Braver Felix«, sagt Berndorf und dreht sich um. Als er durch das Friedhofstor geht, läuft Felix gebückt neben ihm her, aber der gesträubte Streifen Fell auf seinem Rücken ist schon nicht mehr ganz so hoch aufgerichtet.
»Ich kann Hunde nicht leiden«, sagt der Lokalredakteur Frentzel und blickt von seinem Bildschirm zu Hollerbach hoch. »Überhaupt ist das keine lustige Geschichte. Absolut nicht. Oder willst du, dass wir uns über Beerdigungen lustig machen? Was glaubst du, wie das werden wird, wenn wir dann beide in der Chefredaktion antanzen dürfen? Überhaupt nicht lustig wird das…«
»Chef«, sagt Hollerbach mit schmelzender Stimme, »Chef, du hast da was falsch verstanden …«
Frentzel nimmt seine Brille ab und reibt sich die rotgeäderten Augen. »Weißt du, wer hier heute Nachmittag auf der Matte gestanden hat? Da warst du noch beim Leichenschmaus und hast zugelangt, aber hallo! Und ich hatte den Bürgermeister von deinem Alb-Kaff in der Leitung, wir möchten doch…« Frentzel unterbricht sich und macht einen spitzen Mund. »Wir würden doch sicherlich diesen kleinen bedauerlichen Vorfall unerwähnt lassen…, das Andenken des Toten, nicht wahr, und die Gefühle der Pietät, und ich solle auch schön den Herrn Chefredakteur Dompfaff grüßen, man kenne sich von den Weikersheimer Schlossfestspielen …«
Hollerbach verzieht das Gesicht. »Vielleicht liegt der Fehler wirklich bei mir… Es soll ja auch keine lustige Geschichte sein, Chef. Eine rührende ist es.« Er erhebt seine Stimme. »Treuer Hund verteidigt seinen Herrn noch am Grab. Stell dir das doch mal in der Zeitung mit den großen Balken vor.«
»Untersteh dich«, sagt Frentzel, setzt seine Brille wieder auf und blickt Hollerbach strafend an. »Wenn ich diese Geschichte morgen sonstwo lese, sind wir geschiedene Leute.« »Aber Chef«, antwortet Hollerbach und breitet seine Hände aus, »von irgendwas muss unsereins doch auch leben…«
»Mir bricht das Herz«, unterbricht ihn Frentzel. »Weißt du, was den bedeutenden, den großen Journalisten ausmacht? Nein, Hollerbach, du weißt es nicht. Aber ich sag es dir. Der große Journalist weiß, wann er schweigen muss. Er kann nämlich etwas für sich behalten. Kann warten, bis die Zeit gekommen ist …«
»Chef«, sagt Hollerbach flehentlich, »kein Mensch will doch nächste Woche noch von einer Leich’ von heute lesen…«
»Aber das ist eben der Zeitgeist«, fährt Frentzel fort. »Die Leute haben keine Pietät mehr. Kein Gefühl für die Würde des Wortes, das ungeschrieben bleibt.« Er wendet sich wieder dem Bildschirm zu. »Was hast du vorhin gesagt? Treuer Hund verteidigt seinen
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