Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Lastzüge abgestellt sind. Dahinter sieht man ein lang gestrecktes zweistöckiges Gebäude, in dem noch vereinzelt Licht brennt oder der bläuliche Lichtschein der Fernseher zu sehen ist. Grüne Neonröhren flimmern die Buchstaben:
ERNF H ERS INKE R
in die Dunkelheit. Paco biegt auf den Parkplatz ein. »Aber sicher sind da noch Zimmer frei«, sagt er und deutet auf das Gebäude.
Dann parkt er den Wagen und stellt den Motor ab. Aber er macht keine Anstalten auszusteigen.
»Die Stimme, die Sie angeschrien hat – das war die gleiche wie vorhin vor der Hütte?«
»Warum fragen Sie, wenn Sie’s wissen?«
»Haben Sie die Hände hoch genommen?«
»Hab ich nicht«, antwortet Paco. »Ich bin abgetaucht und die Treppe runter und hab die ganze Zeit gedacht, gleich krieg ich eine Kugel in den Arsch. Aber die Typen haben nicht auf mich geschossen. Na ja, die dachten, sie hätten mit dem toten Kerl schon genug Zores.«
»Aber warum«, fragt Berndorf, »haben Sie nicht die Polizei angerufen?«
Paco dreht sich zu ihm um. »Ich dachte, Sie sind schneller von Begriff. Wenn unsereins die Stichelpenk holt, was glauben Sie, wen die als Ersten pflanzen? Der Sinde ist es, der in den Knast wandert, es haben ja genug Leute mitgekriegt, dass ich nach dem Fotografen gesucht habe, und nicht im Guten.«
»Schon recht«, meint Berndorf. »Aber Sie wissen ja selbst, dass Sie jetzt nicht bloß die Bullen am Hals haben. Sondern auch Leute, die womöglich noch schlimmer sind.« Er öffnet die Tür und steigt aus und gähnt.
Eine Viertelstunde später steht er in der versifften Dusche eines kabinenartigen Zimmers mit pissfleckigem orangefarbenem Teppichboden und lässt selig heißes Wasser über seinen Rücken laufen.
Montag, 12. November 2001
Wieder türmt sich hoch über ihm der Kühler des Lastwagens, lautlos biegt sich Stahlblech, die Tür des Citroëns knickt nach innen und drückt auf seine Brust, er ist eingeklemmt und will schreien und kann es nicht, dann ist der Lastwagen weg, der Pfarrer Rübsam steht neben dem Wagen, der Pfarrer schiebt seine Schnauze unter Berndorfs Hand und stupst sie nach oben, weil es gar nicht der Pfarrer ist, sondern Felix, der meint, dass es Zeit sei, Zeit für einen Spaziergang und für ein Frühstück und überhaupt…
Wo ist er?
Berndorfs Blick fällt auf enge Wände mit einer stockfleckigen Tapete, links vom Bett hängt oben an der Wand ein Billigfernseher, durch schmutzig graue Stores drängt Novemberlicht ins Zimmer. Berndorf fingert nach seiner Taschenuhr, es ist acht Uhr vorbei, schwerfällig wuchtet er sich aus seinem Bett hoch, rasieren kann er sich später, wenn überhaupt. Er holt seine Hosen, die er noch in der Nacht sorgsam über einen Bügel gehängt hat, und stellt fest, dass er sich die Mühe hätte sparen können. Zerknittert und angedreckt, wie sie sind, wird er darin nur schlecht die Gattin eines höheren Beamten aufsuchen können. Dann zieht er sich vollends an, dabei fällt sein Blick auf einen Zettel, den jemand unter seine Zimmertüre hindurchgeschoben hat. Steifbeinig geht er hin und bückt sich mühsam. Der Zettel ist aus einem Notizblock ausgerissen, in einer nach links geneigten Schrift, wie sie sonst nur Mädchen haben, steht zu lesen:
Sorry Chef, aber hier ist ein Kumpel der einen Beifahrer braucht. Ich glaub es ist besser so. Machen Sie es gut. Paco
Im Frühstückszimmer ist er der einzige Gast, die Kellnerin sieht aus und hört sich an, als ob sie aus dem Osten käme, aber der Kaffee ist überraschend gut. Es gibt sogar eine Zeitung, an diesem Morgen hat die Regierung keine Mehrheit mehr, weil acht Abgeordnete der Grünen einem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr nicht zustimmen wollen. Die Nordallianz, mit frischen Dollars und nagelneuen Panzern ausgestattet, macht sich auf den Weg zurück nach Kabul, von wo sie vor Jahren übergroßer Gräueltaten wegen vertrieben worden ist… Ein Regierungssprecher erklärt in Beijing, die Allianz gegen den Terrorismus finde auch die Unterstützung der Volksrepublik China, im Kongo melden irgendwelche Regierungstruppen eine erfolgreiche Gegenoffensive, Berndorf überlegt, ob jemals erfolglose gemeldet worden sind, und klopft sein Frühstücksei auf …
Wieso heißt Peking jetzt Beijing? Wer bestimmt so etwas? Und: Falls es die phonetisch richtigere Transskription ist, warum kommt man erst jetzt darauf? Vielleicht ist es eine ostdeutsche Schreibweise, denkt er. So wie Tiflis bei den Ossis Tbilissi heißt. Er bezahlt und verstaut
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