Der Hund im Kuehlschrank
Seiten mit und vermischen sich. Da wird in der Erzählung der berühmte gefangene Fisch zehn Zentimeter größer, als er in Wirklichkeit war. Oder es hat im Urlaub jeden Tag geregnet, obwohl es zwischendurch durchaus so manchen Sonnentag gab. Zu einer guten Geschichte gehören kraftvolle, klare, konturenreiche Bilder, die tief im Inneren des Erzählers verwurzelt sind. Ob diese Bilder wirklichkeitsgetreu oder erfunden oder – was am häufigsten ist – eine ausgeschmückte Wahrheit sind, sollte man nicht auf die Goldwaage legen. Erzählen ist frei von diesen Vorgaben. Erst einmal ist alles möglich!
Das doppelte Lottchen
Eine weitere Spur zur Geschichtenquelle des Lebens können Lieblingsbücher sein. In Geschichten, die uns besonders berühren, steckt meist ein Stück des eigenen Lebens. Bestimmte
Figuren, Themen, Landschaften, Szenen und dergleichen mehr tauchen auf, die im Bildgedächtnis abgespeichert sind. Wenn Sie über Ihre Lieblingsgeschichten sprechen, erzählen Sie auch etwas von sich selbst.
Was haben Sie als Kind gern gelesen?
Welche Geschichten haben Sie gern gehört?
Welches Märchen ist Ihnen bis heute im Kopf geblieben?
Welche Bücher stehen heute in Ihrem Bücherregal?
Gibt es eine für Sie vorbildhafte Figur aus einer Geschichte?
Gibt es eine Figur, die Ihnen Angst gemacht hat?
Ein wichtiges Buch meiner Kindheit war Das doppelte Lottchen von Erich Kästner. Luise und Lotte, die beiden Zwillingsschwestern, die nichts voneinander wissen und sich dann zufällig in einem Kinderferienheim begegnen, haben mich fasziniert. Ich fand den Rollentausch der beiden mutig und ich konnte sowohl ein bisschen was von der wilden, ungezähmten Luise als auch von der ernsthaften, besonnenen Lotte in mir wiederfinden. Und was für ein Triumph, als die beiden Mädchen am Ende die »böse Stiefmutter« vertreiben und die »guten Eltern« wieder zusammenbringen! Das doppelte Lottchen lebt von der Gegensätzlichkeit der beiden Mädchen. Polaritäten erzeugen Spannung. Luise – Lotte, wild – brav, hell – dunkel, Tag – Nacht, gut – böse, groß – klein, schnell – langsam . . . All diese Begriffspaare öffnen eine weite Spanne aufregender Erzählstoffe.
Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich entscheiden, ob Sie ausschließlich bei Tag oder bei Nacht leben wollten. Was würden Sie wählen? Das Tageslicht oder die nächtliche Dunkelheit? Oder
jemand fragt Sie, ob Sie lieber riesengroß oder winzig klein sein möchten. Was wäre Ihnen lieber? Schnell wird deutlich: Wir wünschen uns in den meisten Fällen, an beiden Polen teilzuhaben. Wir möchten nicht nur das eine oder das andere Extrem leben, sondern am liebsten beides, von allem etwas, ein Dazwischen, ein Sowohl-als-auch. Die schwarz-weiße Welt der klassischen Märchen führt uns Polaritäten plastisch vor Augen: Da ist der eine Sohn klug, der andere dumm. Die eine Prinzessin ist wunderschön und fleißig, die andere hässlich und faul. Der eine König ist gut und weise, der andere böse und voller Hinterlist. Die meisten erfolgreichen Geschichten arbeiten mit der Spannung der Gegensätze. So ist auch in den berühmten Harry-Potter-Bänden der Bestsellerautorin Joanne K. Rowling neben dem Kampf zwischen Gut und Böse die wohl spannendste Figur der Lehrer Snape. Bis zum siebten Band der Reihe – und eigentlich bis über das Ende des Romans hinaus – bleibt unklar, ob Snape nun zu den Guten oder den Bösen gehört. Seine Doppelgesichtigkeit fasziniert und spielt während der gesamten Erzählung mit den Sympathien und Antipathien des Lesers.
Das Prinzip der Polarität lässt sich auf das Kommunizieren im Alltag übertragen. Themen, die sich mit Gegensätzlichkeiten beschäftigen, sind ein guter Gesprächsanlass. Im Kontrast steckt Lebendigkeit, und jeder Mensch kennt die spannungsgeladenen Gefühle, die sich aus Gegensätzlichkeiten ergeben! Über Glück und Pech im Leben lässt sich endlos reden. Es ist ein Thema über Ländergrenzen und Kulturen hinweg. Sind Sie ein Optimist oder ein Pessimist? Ein Glückskind oder ein Pechvogel? Was war das Schlimmste, das Ihnen jemals passiert ist? Und was war das Beste? Dazu kann jeder etwas sagen.
Das Schloss der tausend Spiegel Eine Geschichte über Gegensätze
Es war einmal ein Hund. Dieser Hund hörte eines Tages von einem besonderen Schloss. Es wurde »das Schloss der tausend Spiegel« genannt. Der Hund wusste nicht, was ein Spiegel ist, aber es hörte sich interessant an. Und da er sowieso nichts
Weitere Kostenlose Bücher