Der Hund im Kuehlschrank
– beispielsweise mit dem Wolf – stelle ich mir denselbigen ganz konkret als eigenständiges, lebendiges Wesen vor und frage ihn neugierig über sein Leben und Handeln aus. Die Fragen – vor allem aber die Antworten – sollten intuitiv, unsinnig, spontan und unmittelbar erfolgen.
Probieren Sie es selbst einmal aus und wundern Sie sich nicht über Merkwürdiges. Lassen Sie sich einfach überraschen, was für einen Wolf Sie innerlich vor Augen haben. So ein Figureninterview können Sie am besten mithilfe eines Gesprächspartners
oder einer Gesprächspartnerin durchführen. Ihr Partner/ Ihre Partnerin fragt, Sie antworten. Sie können das Interview aber auch einfach für sich selbst auf Tonband sprechen oder aufschreiben. In diesem Fall übernehmen Sie sowohl die Rolle des Interviewers als auch die Rolle der Figur, die befragt wird. Ein solches inneres Gespräch mit dem Wolf aus Rotkäppchen könnte etwa folgendermaßen klingen:
Interview mit dem Wolf, der das Rotkäppchen fraß
»Hallo, Wolf!«
»Hallo.«
»Du lebst also in dem Wald, der zwischen dem Haus von Rotkäppchen und dem ihrer Großmutter liegt?«
»Ja, das stimmt. Meistens lebe ich in diesem Wald. Manchmal wandere ich aber auch in anderen Wäldern herum. Ich lasse mich nicht gern festlegen.«
»Lebst du in einem Rudel?«
»Nein. Ich bin ein einsamer Wolf.«
»Hättest du manchmal gern Gesellschaft?«
»Na ja, manchmal schon. Da bin ich recht allein. Aber im Grunde genommen mache ich auch gern mein eigenes Ding und das, was mir gefällt.«
»Was gefällt dir denn?«
»Kleine Mädchen erschrecken!«
»Wie erschreckst du sie denn?«
»Ich springe hinter einem Baum hervor!«
»Und Rotkäppchen hast du auch erschreckt?«
»Nein. Da habe ich einen Trick angewandt. Ich wollte ja nicht nur das Mädchen fressen, sondern auch noch ihre Großmutter. Da musste ich planvoller vorgehen.«
»Wer hat dir denn besser geschmeckt: Rotkäppchen oder ihre Großmutter?«
»Na, das junge Ding war natürlich viel saftiger, die Großmutter eher etwas trocken. Aber ich bin eben ein Gierschlund und schlucke runter, was mir vor die Schnauze kommt.«
»Wirst du niemals satt?«
»Nein. Ich bin ein Wolf und nehme, was ich kriegen kann.«
»Aber hast du denn gar kein Mitleid mit der Großmutter oder mit dem Rotkäppchen?«
»Mitleid? Nein! Wenn, dann habe ich mit mir selbst Mitleid, schließlich wird mir am Ende der Geschichte der Bauch aufgeschnitten und ich sterbe an einer Ladung Wackersteine! Wer will das schon?«
Wenn ich mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern meiner Erzählkurse solche Figureninterviews durchführe, ist es immer wieder beeindruckend zu erleben, wie viele unterschiedliche Wölfe es gibt.
Da sind böse, gefährliche, wilde Tiere, da sind sanfte und im Grunde ihres Herzens liebenswerte Wölfchen, die »die Sache mit dem Rotkäppchen« gar nicht so gemeint haben, da sind schlaue, hinterhältige, derbe, lüsterne, raffinierte, gierige und vor Hunger von Sinnen geratene Wölfe – und noch jede Menge andere Varianten. Wolf ist niemals gleich Wolf.
Und dasselbe gilt für alle anderen Teile einer Geschichte. Mit dieser Klarheit über die Figuren im Inneren lässt sich jede Geschichte – egal ob überliefertes Märchen oder selbst erlebtes Alltagsabenteuer – mit emotionalen und farbenfrohen Bildern füllen. Das, was Sie erzählen, wird Ihre Zuhörer überzeugen. Sie wissen dann nämlich, wovon Sie sprechen. Sie sind authentisch.
Aufmerksamkeit – »Die Menschen hören mir gern zu!«
»Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören.
Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen.« [Ref 11]
(Michael Ende)
Aufmerksamkeit – »Die Menschen hören mir gern zu!«
Gerade als ich beginne, das Kapitel über Aufmerksamkeit zu Papier zu bringen, summt und brummt eine dicke, schwarze Schmeißfliege um meinen Schreibtisch herum und macht mich ganz nervös. So kann ich mich nicht konzentrieren, bin abgelenkt und werde kribbelig bei dem hektischen Gesumme. Und da sich das unruhige Biest auch nirgends niederlässt, kann ich es nicht mit der Fliegenklatsche erwischen. In dieser Situation, in der mir jegliche Konzentration abhanden kommt, muss ich daran denken, dass wir im Grunde täglich sehr vielen Schmeißfliegen ausgesetzt sind, die unsere Aufmerksamkeit von den wesentlichen Dingen abziehen und unsere Sinne verwirren. In einer hektischen, reizüberfluteten Zeit ist es eine Kunst geworden, sich ganz auf
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