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Der Hundeknochen

Der Hundeknochen

Titel: Der Hundeknochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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»Kannst ruhig kommen, auf ein Arschloch mehr oder weniger kommt es nicht an.« Er rülpste und hinterließ eine Wolke von Anisschnaps.
    Vor der Post hielt ein metallicgrüner Jeep Cherokee, kein Auto der armen Leute, mit chromblitzendem Rammschutz und einer Blondine auf dem Beifahrersitz, die aussah, als gehörte sie zur serienmäßigen Ausstattung. Der Mann am Steuer war Werner Stoll. Er warf die Fahrertür ins Schloß, nickte den Schmuckverkäufern zu und ging in den separaten Raum mit den Postfächern.

17.
     
     
     
    Es raschelte. Durch die Halme des Strandhafers huschte eine Eidechse, ein prächtiges, grünbraun gesprenkeltes Exemplar. Sie atmete stoßartig, blinzelte. Ich blinzelte zurück, blieb ansonsten reglos. Mit langer, spitzer Zunge berührte die Eidechse meine Ferse, dann tasteten sich ihre Füße mit den fadendünnen Zehen vor. Anscheinend hatte ich die Geschmacksprobe bestanden. In schlängelnden Bewegungen schob sie ihren kühlen Körper über meinen Knöchel, hielt inne, nippelte an den Härchen, schlängelte weiter.
    Eine zweite, wesentlich kleinere Eidechse erschien im Strandhafer, folgte der ersten, biß ihr in den schuppigen Schwanz. Sollte ich Zeuge werden, wie sie es auf meinem Schienbein trieben? Angeblich gab es ja eine Gattung von Eidechsen, die sich schon seit Tausenden von Generationen ungeschlechtlich fortpflanzte und trotzdem keine Gelegenheit ausließ, sich zu paaren, wohl aus Gewohnheit. Oder aus reiner Lust?
    Die Größere drehte sich um, erhob sich auf die Hinterbeine wie die Miniaturausgabe eines Sauriers und zeigte dem Verfolger nadelscharfe Zähne. Eine volle Minute blieben sie wie erstarrt, dann ging es blitzschnell. Für zwei, drei Sekunden bildeten die beiden ein Eidechsenknäuel – war es Sex, war es Kampf oder Gewohnheit? –, danach huschten sie zurück in den Strandhafer.
    Ich stützte mich auf die Ellbogen. In der Ferne schnitt ein Surfer durch das türkisfarbene Wasser, Möwen suchten nach Beute. Ihr Geschrei klang wie das kleiner Kinder. Ich schaute den Badegästen zu, wie sie Muscheln sammelten, die sie zu Hause in den Müllschlucker stecken würden, wie sie sich mühsam eine Bräune anzüchteten, die in zwei Wochen verblaßt sein würde. Ein Angler zog nach Stunden einen Fisch aus dem Wasser, zeigte ihn stolz seiner Frau und warf ihn wieder ins Meer zurück.
    Ferieninsel Formentera. Nur einer mußte hier arbeiten. Ich gähnte, reckte mich und ließ meinen Blick über die Felsnase in die angrenzende Bucht schweifen. Sie waren noch da. Die blonde Frau bewarf Werner Stoll mit Sand. Er sprang auf, lief hinter ihr her. Eine Weile balgten sie sich, über und unter Wasser, dann trockneten sie sich gegenseitig ab und verhielten in inniger Umarmung. Dieses Bild war mir ein Foto wert. Der Verschluß meiner Kamera machte ziemlich laut klick, doch die Wellen waren noch lauter.
    Ich legte mich wieder auf den Rücken und beobachtete die bunten Kringel hinter meinen Augenlidern. Dann schlummerte ich ein.
    Als der Motor des Jeeps aufheulte, wie eben ein Jeep-Motor aufheult, war es zehn vor vier. Diesmal saß sie am Steuer. Stoll legte seinen Arm um ihre Schulter. Ich ließ mir Zeit. Auf dem holprigen Weg konnten sie mir nicht entwischen.
    Ich folgte der Staubwolke den Strand entlang, über Steine, Sand und Pinienwurzeln. Der Boden wirkte so trocken, als wäre der letzte Regen nicht vor vierundzwanzig Stunden, sondern vor Wochen gefallen. Ein braunweißer Jagdhund der einheimischen Rasse, der nur lustlos einen Pulk Radfahrer umspielt hatte, rannte mit mir um die Wette und gewann.
    Der Weg entfernte sich von der Küste. Er lief auf die geometrischen Felder der Salinen zu, führte an der ehemaligen Salzmühle vorbei, die zu einem Restaurant umgebaut worden war, und dann um den angrenzenden Salzsee herum. Ich hatte die Sonne im Rücken, der Fahrtwind kühlte den Sonnenbrand auf meinem Gesicht, und ich fühlte mich recht wohl.
    Der Jeep befand sich nun auf der Asphaltstraße, die von West nach Ost wie ein Rückgrat die schmale Insel unterteilte. Fünf, sechs rippenartige Abzweigungen nach Nord und Süd, das war es an befestigten Straßen. Bis auf eine Hochebene im Osten war Formentera flach. Nie hatte man mir das Beobachten leichter gemacht. Selbst das Fotografieren war unverdächtig auf einer Insel, wo die Besucher jeden und alles knipsten, am liebsten Einheimische bei der Arbeit.
    Der Jeep durchfuhr einen Torbogen, der den Anfang einer Feriensiedlung ankündigte. Einige der im

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