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Der Hundeknochen

Der Hundeknochen

Titel: Der Hundeknochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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Malochers, der nie einen Filzball in die Hand nahm. Echt war nur der Geruch nach heißem Olivenöl und Knoblauch, der über allem waberte.
    Es war seltsam still, trotz der zahlreichen Gäste, die in Gruppen beieinander standen, trotz der sehr arabisch klingenden Folkloremusik aus Lautsprechern. Lachen war verpönt, man sprach gedämpft, mit gelegentlichem Blick zu einem drei Meter hohen, mit Tüchern verhüllten Ding in der Mitte des Gartens.
    Jeder schien jeden zu kennen, ich natürlich niemanden. Keiner sprach mich an, so blieb mir mal wieder nur das Zuhören: »Nichts geht über die Vorsaison, ehe die Neckermänner kommen«… »Stimmt, machen alles kaputt, auch die Preise«… »Als ich 1978 kam, kostete ein café con leche 25 Peseten«… »1973 gab’s einen Kognak für fünf Peseten«… »Wir haben 1959 für die Überfahrt mit der Manolito ganze sieben Peseten bezahlt, heute kostet ein Ticket tausendachthundert, Preise wie auf den Bahamas«… »Leider können wir jetzt nur einen Monat bleiben, aber im Herbst kommen wir noch einmal für sechs Wochen und dann wieder über Weihnachten«… »Ja, Weihnachten ist schön, dann sind auch keine Touristen da«…
    Ich hörte deutsch, englisch und französisch; spanisch sprach kein Mensch, nicht einmal die wenigen einheimischen Gäste, die sich in ihrem Inseldialekt unterhielten und durch ihre Bescheidenheit auffielen.
    Nachlässiger Schick lag im Modetrend, verrückte Kombinationen waren Trumpf. Chiffonkleid mit Fischerlatschen, Leinensakko mit Strumpfhose, alles schien erlaubt zu sein, solange es nicht aus der Freizeitabteilung eines Kaufhauses stammte. Ich war der einzige, der wie ein Tourist aussah. Meinen Schafwollpullover trafen mitleidige Blicke.
    Die Verbindung zwischen den Grüppchen, die sich nicht mischten, stellte ein ältliches Pärchen her. Er schmal, sonnengebräunt und bieder; sie breit, sonnengebräunt und bieder. »Hallo, ein neues Gesicht«, begrüßte sie mich.
    »Schlömm«, stellte ich mich vor.
    »Erika«, lächelte sie zurück. »Wir nennen uns hier meist beim Rufnamen, Herr Schlömm.«
    »Das ist mein Rufname.«
    »Sind Sie… bist du auch kreativ?« Sie klapperte mit ihren kreativ bemalten Augendeckeln. Die Wahl der Anrede, ob du oder Sie, schien neben dem Preisanstieg das Hauptproblem der Residenten und Teilzeitinsulaner zu sein. »Machen… machst du was?«
    »Ferien und Fotos.«
    »Wahnsinnig interessant! Vielleicht sprechen Sie, sprichst du mal mit Hajo, mit meinem Mann, er sucht Kunstfotos.«
    »Es gibt keine Kunstfotos, und es gibt keine Fotokunst«, schaltete sich hinter mir jemand in das Gespräch ein. Der Mann mit dem Hut hatte sich herangeschoben, in beiden Händen einen Pappbecher mit Wein. »Fotokunst ist nur eine Entschuldigung für verwackelte Aufnahmen.«
    »Hui, unser Jasper, immer ein Bonmot parat«, betüddelte ihn Erika. »Gleich kommt dein großer Augenblick, Jasper.«
    »Da wichs ich mir doch einen drauf«, lallte Jasper.
    Bei dieser spontan angekündigten Aktion wollte Erika offenbar nicht dabeisein. Sie stöckelte – »Hola, Mariano, Pepe, Paco!« – zu den Paellaköchen, die mit unbewegten Gesichtern in die wagenradgroße Pfanne stierten.
    Vom Dach des Hauses flammte ein Punktstrahler. Der Lichtkegel erfaßte Erikas barocke, von einem dünnen weißen Gewebe umwallte Figur und machte sie zu einer Riesenputte, die Reklame für Unterwäsche lief. Dann schwenkte der Strahler zu dem verhüllten Ding.
    Gastgeber Hajo zerrte an einem Strick, und die Abdeckung fiel zu Boden. Sichtbar wurde ein drei Meter hoher Phallus. Der Schaft bestand aus Waschbeton, die Eichel aus geglättetem dunklen Stein. Am Fuß der Plastik, wo in natura das andere Beiwerk saß, hatte der Künstler allerlei Strandgut einbetoniert.
    »Totem und Tabu heißt das Werk unseres lieben Jasper«, rief Hajo, und die Gäste klatschten. Sigmund Freud hätte sich den Bart gerauft.
    Die Enthüllung von Totem und Tabu wirkte wie ein Signal. Die Gäste drängten mit Plastiktellern um die Paellapfanne. Ich stellte mich neben eine schlanke Gestalt im Schatten der Verandasäule. Über das schwarze Schlauchkleid hatte sie jetzt eine pelzbesetzte Jeansjacke geworfen. Ich nickte ihr zu, zauberte aus ihrem Haar ein 100-Peseten-Stück, das ich zwischen meinen Fingern wandern ließ, machte also ein, zwei Taschenspielertricks, und reichte ihr die Münze.
    »Die haben Sie vorhin in der Telefonzelle vergessen.«
    »Gute Idee für einen Gesprächsanfang!« Sie sah mir ins

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