Der Hundeknochen
zuviel Freizeit hatte, wahrscheinlich aber war’s die nicht außergewöhnliche Ermüdung nach zwei Jahrzehnten Ehe. Sie war keine zwanzig bei der Heirat, er immerhin schon Anfang Dreißig. Der Altersunterschied machte sich erst später bemerkbar. Was soll ich drumherum reden, Elmar, irgendwann hat sich was zwischen uns ergeben.«
»Ergeben?«
»Ja, ergeben, keine große Liebe, aber im Bett klappte es. Warum gerade mit mir, wirst du fragen. Nun, ich nehme an, weil sie bei mir sicher sein konnte, daß ich den Mund hielt. Außerdem spielt sich Fremdgehen doch sowieso fast immer im Bekanntenkreis ab.«
»Wußte er davon?«
»Ich denke, nein.«
»Kinder?«
»Zwei, beide außer Haus. Was haben denn die damit zu tun?«
»Herrgott, hier geht es um ein Erbe; und da es vermutlich keine Pfennigbeträge sind, wird sich die Frage nach den Nutznießern und damit nach einem möglichen Tatmotiv stellen, wenn bei der polizeilichen Untersuchung auch nur der leiseste Verdacht aufkommt, daß es kein Unfall war. Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden nennen die das. War die Kripo schon da?«
Er schüttelte nachdenklich den Kopf, obwohl es da ja nichts zu überlegen gab. »Sag mal, du hast doch bestimmt immer noch gute Beziehungen zur Polizei. Hast du was gehört?«
»Eins ist klar, sie werden kommen. Wenn sie dich fragen, die Beamten, verschweige um Himmels willen nichts von dem, was sie eh rauskriegen können.«
»Und daß der Anschlag eigentlich mir gegolten hat?«
»Das ist deine persönliche Meinung und nicht überprüfbar. Weglassen! Kein Wort davon, du würdest sie nur auf Ideen bringen.«
Er griff in die Jackentasche und gab mir einen Schlüssel. »Vielleicht hast du ja mal Lust, in meine Wohnung zu schauen. Ich werde in den nächsten Tagen in einem Hotel hier in der Nähe wohnen, wie du es mir geraten hast. Die Anfahrt ist kürzer, und sicherer ist es auch.« Bis auf ein Zucken um seine Mundwinkel wirkte er gelassen.
Ich boxte ihn sanft gegen den Oberarm. »Fitti, bis dann.«
Nach zwei Schritten rief er mich noch einmal zurück. »Eine letzte Frage an den Fachmann: Eine Pistole unterm Kopfkissen, was hältst du davon?«
»Kannst du mit einer Waffe umgehen, weißt du genau, wann du sie einsetzen mußt, nicht zu früh, nicht zu spät?«
Wieder schüttelte er nachdenklich den Kopf.
»Dann laß es besser!«
35.
Bis zu meinem Treffen mit Gundula Stoll blieben mir noch sieben Stunden. Die PSB hatte zur Zeit drei Baustellen. Ich fuhr zur ersten.
Auf dem Gelände einer stillgelegten Kokerei wurden die Vorbereitungen getroffen, einen Kamin so zu sprengen, daß er zentimetergenau zwischen zwei Lagerhallen zu liegen kam. Da die Sprengung den Abbau von Arbeitsplätzen, aber gleichzeitig auch den Strukturwandel im Revier symbolisierte, wurde sie vom Regionalfernsehen übertragen. Fernsehen bedeutete Aufmerksamkeit, und Salm hatte das Spektakel einer Sekte als Werbemöglichkeit angeboten.
Ihr Spruchband auf halber Höhe des Kamins verkündete: Auch du brauchst Jesus. Wahrscheinlich mit der hintergründigen Botschaft, daß sonst alles zusammenbricht wie eben dieser Schornstein.
Die zweite Kolonne der PSB war, über Tage, auf einer ehemaligen Zeche beschäftigt. Sie reinigte mit Sandstrahl die Fassade eines alten Verwaltungsgebäudes, dessen Backsteingotik schöner war als die meisten Kirchen im Revier. Ein Getränkeabfüller hatte den Bau gekauft, um dort eine sogenannte Seniorenresidenz einzurichten.
Auf der dritten Baustelle sah ich, wie man mittels Wasserkraft das Eisenskelett einer Fertigungshalle freilegte. Der Wasserstrahl war dünn wie eine Degenspitze und zerstäubte den Beton, als wäre er Rauhreif. Ich blieb in respektvoller Entfernung stehen.
Der Mann an der Spritze trug einen Helm mit Visier und steckte in einem Sicherheitsanzug, der ihm das Aussehen eines Weltraumfahrers gab. Von Zeit zu Zeit trat er von der Betonsäule zurück, bis sich die Dunstschwaden verflüchtigt hatten, um danach erneut Maß zu nehmen. Als er für eine etwas längere Verschnaufpause das Visier hochklappte und den Schutzhelm abnahm, erkannte ich ihn. Es war der Kraushaarige, mit dem ich schon einmal gesprochen hatte, auf der Baustelle, wo Jan Wieczorek abgestürzt war.
Ich ging zu meinem Wagen und holte eine in Zeitungspapier gewickelte Whiskyflasche. Hinter mir verstummte der Kompressor.
Mit tapsenden Schritten kam der Mann auf mich zu. »Ist was?«
»Nur ein bißchen zugucken. Tolle Technik!« wunderte ich mich
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