Der Hundeknochen
anderen wandern und zählen die Fliegen. Ob man seinen Espresso in einem Schluck nimmt oder eine Stunde dabei hocken bleibt, ist egal, niemals würde der Wirt auf die Idee kommen, einen Gast zum Trinken zu animieren.
Klar, daß das einem wie mir, der ich lange Arm in Arm mit Bruder Alkohol gelebt hatte, gefiel.
Komisch, als ich auf Formentera war, hatte ich mich nach einer Kneipe im Ruhrpott gesehnt, und jetzt diese Gedanken!
Vor dem Tresen des Eckstübchens standen vier Feierabendzecher, mit Augen, denen tausend Stunden Video den Glanz genommen hatten. Gelebt wurde anderswo. Überall passierte was, nur nicht bei ihnen; auf der Arbeit nicht, mit der Ollen zu Hause auch nicht, Freundinnen hatten nur die Helden in Hollywood und die Politiker im eigenen Land.
Nicht einmal einen anständigen, das heißt einen dicken Wirt hatte diese Kneipe. Der Mann hinter dem Tresen sah aus wie ein verhungertes Karnickel, kaum Kinn, riesige Ohren und ein Mundwerk, das nach rechts und links den Gästen beipflichtete.
Durch die vergilbten Wolkenstores und die Töpfe mit Muttis Fetter Henne sah ich den grauen Kombi meiner Verfolger. Sobald ich das Eckstübchen verließ, würden sie hereingestürzt kommen, mit amtlicher Miene den Wirt ausfragen und nebenbei Spesen machen.
Na, schön, wenn es sich denn schon nicht vermeiden ließ, dann wollte ich dem Publikum auch was bieten. Ich lehnte mich also in der Art und Weise, wie man das von einem Detektiv wohl erwarten durfte, mit einem Ellbogen auf die Theke und fragte, die Augen auf Halbmast, durch die Zähne: »Diesen Mann mal gesehen?«
Ich zog das Fahndungsfoto, das Kurt Heisterkamp mir gegeben hatte, aus der Tasche.
Der Wirt grinste schief, das heißt, eigentlich hängte er nur seine oberen Schneidezähne über die Unterlippe. »Zu trinken auch was?«
»Pils!« sagte ich, denn das dauerte länger, und der Wirt war genau der Typ, der die Zapfzeit von sieben Minuten selbst dann einhalten würde, wenn draußen eine Straßenschlacht ausbräche.
Er nahm eine angezapfte Köpi-Tulpe vom Kupferrost. Mit einer Hand am Bierhahn, plirrte er über seine Schulter auf das Foto in meiner Hand, stellte das Glas ab, rückte näher an das Bild von Dieter Prats und sagte: »Ja, der war mal hier, vor Wochen.«
Das lief ja wie geschmiert. Man mußte sich nur so verhalten, wie es die Leute aus den Krimiserien kannten. Weiter so, Mogge, nur noch eine Idee knarziger aus den Mundwinkeln!
»Ganz sicher?«
»Klar doch, der war hier an dem Tag, als gegenüber auf der Baustelle der Unfall passierte und der Kranführer zehn Minuten lang mein Telefon blockiert hat. Ist was mit dem?« Gemessen am Eifer, mußte er sein ganzes Gastronomenleben darauf gewartet haben, einmal befragt zu werden.
Ich steckte das Foto weg. »Seine Frau sucht ihn; er hat zu ihr gesagt, ich geh mir einen zischen und ist nicht wieder aufgetaucht.«
»Tatsache?«
Ich knurrte meine Zustimmung.
»He, merkse nich, dat der dich verarschen will, Stefan?« mischte sich am linken Thekenrand jemand ein, der gerade eines der Soleier verdrückte, die wie Embryonen in der trüben Flüssigkeit eines Einweckglases schwebten.
»Der Gast hat höflich gefragt, Ekki.«
»Hat der nich. Der spricht wie einer aussm Fernsehn.«
Die Kumpane am rechten Thekenende horchten auf. Endlich eine Abwechslung, das Thema Meidericher Spielverein war ausgelullt, hier konnte man auf anderem Gebiet seine Kenntnisse beweisen.
»Hast recht, Ekki, der quatscht so wie ein Pfaffe, der auf jung macht.«
»Nä, wie ‘n Cowboy.«
»Hast ja keine Ahnung, der guckt wie der aus Casablanca, hab ich mir gestern noch mal reingezogen.«
Die sieben Minuten waren um. Ich kriegte mein Pils, hob es hoch, nickte aus Höflichkeit den Feierabendzechern über die Schaumkrone zu, trank aber nicht. Ich wollte gehen. Was es zu erfahren gab, hatte ich erfahren.
Die Zecher sahen das anders. Sie stierten nicht mehr in ihre Gläser, sie stierten mich an. Ekki, mein linker Thekennachbar, hielt sich zugute, etwas Stimmung in die Bude gebracht zu haben. Und er wollte mehr.
Er stellte sich seitlich hinter mich und tönte: »Der redet wie ‘n Cowboy, der trägt Stiefel wie ‘n Cowboy, aber ‘n Pilsken auf ex, nee, dat schafft er nich.« Ekki zeigte auf meine Absätze.
Mein Nacken wurde heiß. Powerprogramm, Fallübungen, Kampfsport – erst danach eine Schlägerei. Doch wenn mich nicht alles täuschte, war ich drauf und dran, in der falschen Reihenfolge anzufangen.
Der Kerl hatte runde
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