Der Hundeknochen
eine Witwenrente, die Sie unmittelbarer Geldsorgen enthebt, hinzu kommen nichtmaterielle Werte wie Freiheit oder die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen.«
Sie sprang von ihrem Stuhl auf. »Genug! Raus!« zischte sie.
Ich blieb sitzen, starrte auf ihre silbernen Slipper und war darauf gefaßt, im nächsten Augenblick ihren Fuß an der Kinnlade zu spüren. Sicher besuchte sie das Sportzentrum nicht nur, um das Hinterteil zu straffen, das meiner Meinung nach durchaus beachtenswert war.
»Ein neues Leben beispielsweise an der Seite von Friedhelm Salm«, sagte ich.
»Raus!«
»Gern. Wenn Sie wollen, daß Salm auf Schritt und Tritt von Reportern verfolgt wird. Wenn Sie wünschen, daß morgen früh ein Fernsehteam am Gartenzaun seine Kameras aufbaut und Ihnen beim Frühstück auf der Terrasse zusieht. Für beides kann ich sorgen.«
Wie in Trance setzte sie sich wieder. »Ich will Ihnen nicht die trauernde Witwe vorspielen«, sagte sie gefaßt. »Mein Mann und ich hatten uns auseinandergelebt. Aber umgekommen ist er nun mal durch einen Unfall.«
»Sie wußten, daß er herzkrank war, daß ein Stromschlag ihn umbringen konnte.«
»Natürlich wußte ich das. Und daraus folgern Sie in Ihrer Scharfsichtigkeit, daß ich das schadhafte Stromkabel ans Geländer gehalten habe«, höhnte sie laut.
Im Nebenraum fiel ein Gegenstand zu Boden. Wahrscheinlich war der Putzhilfe beim Lauschen an der Tür der Staubwedel aus der Hand gefallen. Die Möglichkeit, daß das türkische Mädchen mithören konnte, schien Vera Pollex nichts auszumachen. Wollte sie damit demonstrieren, daß sie nichts zu verbergen hatte? War es Leichtsinn oder doch nur Arroganz der Arbeiterklasse gegenüber? Ein Verhalten demnach wie in Feudalzeiten, als die Herrschaften sich von ihren Dienern einen Eimer Wasser zwischen die geöffneten Schenkel gießen ließen, sich aber vor Mitgliedern des eigenen Standes bis zu den Zehenspitzen verhüllten.
»Also, was wollen Sie? Melden Sie der Versicherung doch Ihren Verdacht!«
Ich schüttelte den Kopf. »Was ich will? Ich will nur meinen Klienten schützen – Salm.«
Ihr Blick ging ins Leere, mechanisch strichen ihre Fingerkuppen über den Polsterstoff des Sessels. Hatten meine Worte sie wirklich so stark getroffen? Oder konnte sie so verdammt gut schauspielern? Mit meiner Einstellung, von jedem Menschen nur das Schlechteste zu erwarten, war ich bislang recht gut gefahren. Und so ging ich nun davon aus, daß sie mich durch ihre Freundin Gundula Stoll nach Formentera hatte locken lassen, um den Mördern ihres Mannes freie Bahn zu schaffen.
Ein leises Knacken drang an mein Ohr. Hinter mir, fast außerhalb meines Gesichtsfeldes, wurde eine Tür geöffnet. Ich wirbelte herum.
Im Türspalt, in der Höhe der Klinke, sah ich den Kopf der jungen türkischen Frau. Zaghaft sagte sie: »Alles fertig, Frau Pollex, bitte mich wegbringen.«
Das war der Unterschied. Früher lebte die Dienerschar in der Nähe, oder aber sie wurde einfach nach getaner Arbeit weggeschickt; heute mußte die Herrin ihre Putzhilfe mit dem Wagen nach Hause bringen.
»Ich könnte Sie mitnehmen«, bot ich der fleißigen Frau meine Dienste an.
Vera Pollex nickte. Doch die Türkin wehrte mit erschreckten Augen ab: »Ich nicht mit fremden Mann im Auto, bitte!«
Auch gut. Es war sowieso unwahrscheinlich, daß sie mir etwas über ihre Arbeitgeberin hätte erzählen können.
43.
»Hast du Vera Pollex in der letzten Zeit mal getroffen?« wollte ich von Salm am Telefon wissen.
»Nein, unser letztes Treffen war auf der Beerdigung ihres Mannes. Dieses Verhältnis fortzusetzen oder aufzufrischen, wäre wohl nicht besonders klug, oder?«
Er nagte an den Worten herum. Ich hätte ihm gern dabei ins Gesicht gesehen. Doch seitdem ich von ehemaligen Kollegen beschattet wurde, telefonierte ich nur noch mit meinem Klienten. Ich beschränkte mich sogar darauf, Salm im Hotel anzurufen, für den Fall, daß die Landesbullen bereits das Firmentelefon angezapft oder ihre Lauschkanonen auf die Bürofenster der PSB gerichtet hatten.
»Hat die Versicherung schon das Geld für deinen verunglückten Partner herausgerückt?«
»Bis heute früh war noch nichts überwiesen.« Er räusperte sich. »Elmar, jetzt habe ich mal eine Frage: Wie kommst du eigentlich voran in der Sache?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, daß schon bei dem ersten Unfall jemand nachgeholfen hat.«
»Mord? Aber warum?«
»Ich hatte zunächst an die Versicherungssumme gedacht, aber
Weitere Kostenlose Bücher