Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
unerfindlichen Gründen anbrüllte.
Diese neue Diät dauerte sechs Tage, dann brachte das Spezialgremium des Geheimdienstes ihn zur Verhandlung. Der Gerichtssaal lag, ebenso wie Allans Zelle, im riesigen Gebäude des Geheimdienstes am Lubjanka-Platz, wenn auch ein paar Etagen höher. Man setzte Allan auf einen Stuhl vor dem Richterpult. Links vom Richter saß der Staatsanwalt, ein Mann mit mürrischem Gesicht, und rechts Allans Verteidiger, ebenfalls ein Mann mit mürrischem Gesicht.
Erst sagte der Staatsanwalt etwas auf Russisch, was Allan nicht verstand. Dann sagte der Anwalt etwas auf Russisch, was Allan auch nicht verstand. Daraufhin nickte der Richter scheinbar nachdenklich, bevor er zur Sicherheit noch einmal seinen Memo-Zettel auseinanderfaltete und mitteilte:
»Das Spezialgremium beschließt hiermit, Allan Emmanuel Karlsson, Bürger des schwedischen Königreiches, zu dreißig Jahren in einem Besserungsarbeitslager in Wladiwostok zu verurteilen, da er sich als gefährliches Element für die sowjetische sozialistische Gesellschaft erwiesen hat!«
Der Richter informierte den Verurteilten, er könne das Urteil anfechten, das wäre dann Angelegenheit des Obersten Sowjets, und die Verhandlung würde heute in drei Monaten stattfinden. Doch Allan Karlssons Anwalt teilte in Allan Karlssons Namen mit, dass er keine Revision einlegen würde. Im Gegenteil, er sei dankbar für das milde Urteil.
Zwar fragte man Allan nie, ob er wirklich dankbar war, aber das Urteil hatte zweifellos seine netten Seiten. Erstens behielt der Angeklagte sein Leben, und das kam selten vor, wenn man als gefährliches Element eingestuft worden war. Und zweitens landete er im Gulag in Wladiwostok, im absolut erträglichsten Klima Sibiriens. Dort war das Wetter nicht viel übler als zu Hause in Sörmland, während es weiter nördlich und in Richtung Binnenland durchaus fünfzig, sechzig oder gar siebzig Minusgrade geben konnte.
Allan hatte also gewissermaßen Glück gehabt. Nun wurde er mit ungefähr dreißig gerade verurteilten Dissidenten, die sein glückliches Los teilten, in einen zugigen Waggon verfrachtet. Diese Menschenladung hatte außerdem nicht weniger als drei Decken pro Kopf bekommen, da der Kernphysiker Julij Borissowitsch Popow den Wärter mit einem Bündel Rubel bestochen hatte. Der Mann fand es seltsam, dass ein so prominenter Bürger sich für einen Gulagtransport engagierte, und überlegte kurz, ob er den Vorfall seinen Vorgesetzten melden sollte. Doch dann fiel ihm wieder ein, dass er ja schon das Geld angenommen hatte, also war es wohl schlauer, weiter keinen Staub aufzuwirbeln.
Allan tat sich schwer, in diesem Gefangenentransport jemanden zu finden, mit dem er plaudern konnte, denn fast alle sprachen nur Russisch. Doch ein Mann um die fünfzig konnte Italienisch, und da Allan fließend Spanisch sprach, konnten sich die beiden einigermaßen verständigen. Jedenfalls verstand Allan so viel, dass der Mann zutiefst unglücklich war und sich am liebsten das Leben genommen hätte, wenn er nicht – nach seinen eigenen Worten – so eine erbärmliche Memme wäre. Allan tröstete ihn, so gut es ging, und meinte, dass sich die Dinge vielleicht sogar im Sinne des Mitreisenden entwickeln könnten, sobald der Zug ins sibirische Binnenland kam, denn drei Decken könnten sogar etwas knapp kalkuliert sein, wenn das Wetter entsprechend gelaunt war.
Der Italiener schniefte noch ein wenig, dann richtete er sich wieder auf und reichte Allan die Hand, um sich für seine Unterstützung zu bedanken. Er war übrigens gar kein echter Italiener, sondern Deutscher. Herbert hieß er. Sein Nachname sei nicht so wichtig, meinte er.
* * * *
Herbert Einstein hatte in seinem Leben kein Glück gehabt. Aufgrund eines administrativen Fehlers war er ebenso wie Allan zu dreißig Jahren Besserungsarbeitslager verurteilt worden, nicht zum Tode, nach dem er sich so sehnte.
Und er erfror auch nicht in der sibirischen Tundra, dafür sorgten die drei Decken. Außerdem war der Januar 1948 der mildeste seit Langem. Doch Allan versicherte Herbert, künftig werde er bestimmt andere Möglichkeiten finden. Immerhin waren sie ja auf dem Weg zu einem Arbeitslager, wenn es also anderweitig nicht klappen wollte, konnte er sich doch immer noch tot arbeiten , wie wäre es denn damit?
Seufzend meinte Herbert, dafür sei er wohl zu faul. Allerdings wusste er es nicht so genau, denn er hatte sein Lebtag noch nicht gearbeitet.
Darin sah Allan durchaus eine Chance. In
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