Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
Kirill Afanassjewitsch Merezkow und sein Adjutant hatten keine andere Wahl gehabt, als sich zu Fuß auf den Weg zu dem zu machen, was von Wladiwostok vielleicht übrig geblieben sein mochte.
Nach ein paar Stunden waren sie auf ein Zeltlager der Roten Armee vor der zerstörten Stadt gestoßen. Zunächst erreichte die Demütigung ihren absoluten Gipfel, als man nämlich den Marschall verdächtigte, ein entflohener Gefangener zu sein, der es sich anders überlegt hatte. Aber dann erkannte man ihn rasch und behandelte ihn so respektvoll, wie es seiner Stellung zukam.
Marschall Merezkow hatte erst einmal in seinem Leben ein Unrecht hingenommen, und zwar als Stalins engster Vertrauter Berija ihn völlig grundlos verhaften und foltern ließ und ihn sicher auch hätte sterben lassen, wäre ihm nicht Stalin höchstpersönlich zu Hilfe gekommen. Vielleicht hätte Merezkow sich hinterher mit Berija anlegen sollen, aber dann gab es plötzlich einen Weltkrieg zu gewinnen, und Berija war trotz allem immer noch in einer sehr starken Position. Deswegen ließ er die Sache auf sich beruhen. Doch Merezkow hatte sich geschworen, sich nie wieder erniedrigen zu lassen. Deswegen blieb ihm jetzt auch nichts anderes übrig, als die beiden Männer zu finden und unschädlich zu machen, die ihm und seinem Adjutanten Auto und Uniform abgenommen hatten.
Allerdings konnte Merezkow nicht sofort die Verfolgung aufnehmen, weil er ja keine Marschallsuniform mehr hatte. Es war auch nicht so leicht, in den Zeltlagern einen Schneider aufzutreiben, und als man endlich einen gefunden hatte, stand man vor dem trivialen Problem, sich überhaupt Nadel und Faden zu besorgen. Sämtliche Schneiderwerkstätten Wladiwostoks waren ja mit der Stadt verschwunden.
Nach drei Tagen war die Marschallsuniform schließlich fertig. Wenn auch ohne die Orden – von denen profitierte ja gerade der falsche Marschall. Doch davon konnte sich Merezkow nicht abhalten lassen, sonst hätte er die Schlacht verloren geben müssen.
Also organisierte er mit einiger Mühe einen neuen Pobeda für sich und seinen Adjutanten (die meisten Militärfahrzeuge waren ja ebenfalls verbrannt) und fuhr am frühen Morgen Richtung Süden, fünf Tage nachdem das ganze Elend begonnen hatte.
An der Grenze zu Nordkorea wurde sein Verdacht bestätigt. Ein Marschall – genau so einer wie der Marschall – hatte in einem Pobeda – so einem wie dem, den der Marschall jetzt hatte – die Grenze passiert und war weiter gen Süden gefahren. Mehr wussten die Grenzbeamten nicht zu berichten.
Marschall Merezkow zog dieselbe Schlussfolgerung wie Allan fünf Tage vor ihm, dass es nämlich Selbstmord wäre, sich weiter auf die Front zuzubewegen. Daher schlug er die Straße nach Pjöngjang ein und wusste schon nach ein paar Stunden, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Vom ersten Wachposten erfuhr er, dass ein Marschall Merezkow nebst Adjutant ein Treffen mit Kim Il-sung verlangt und daraufhin eine Audienz beim engsten Vertrauten des engsten Vertrauten des Ministerpräsidenten bekommen hatte. Daraufhin begannen die beiden Wachen zu streiten. Hätte Marschall Merezkow Koreanisch gekonnt, dann hätte er gehört, wie der eine sagte, er habe doch gleich gemerkt, dass mit diesen beiden etwas faul war, und die Männer hätten sehr wohl die Kleider getauscht, während sein Kollege erwiderte, wenn der andere ab und zu nach zehn Uhr morgens noch nüchtern bleiben könnte, dann könnte man ihm auch mal etwas glauben. Anschließend beschimpften sich Wache eins und Wache zwei als Volltrottel, doch da waren Marschall Merezkow und sein Adjutant schon auf dem Weg nach Pjöngjang.
Der echte Marschall Merezkow durfte den engsten Vertrauten des engsten Vertrauten des Ministerpräsidenten noch am selben Tag nach dem Mittagessen sprechen. Mit all der Autorität, die nur ein echter Marschall besitzt, hatte er den engsten Vertrauten des engsten Vertrauten des Ministerpräsidenten bald überzeugt, dass sowohl der Premier als auch sein Sohn in unmittelbarer Lebensgefahr schwebten und dass der engste Vertraute des engsten Vertrauten ihm jetzt unverzüglich den Weg zum Hauptquartier des Ministerpräsidenten beschreiben musste. Da man keine Zeit zu verlieren hatte, sollte der Transport im Pobeda des Marschalls erfolgen, einem Fahrzeug, das sicher viermal so schnell fuhr wie der Panzer, in dem Kim Jong-il und die Verbrecher befördert worden waren.
* * * *
»Aaaalso«, begann Kim Il-sung herablassend, aber
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