Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
Piranha regelmäßig den Verband und verabreichte ihm mit Maß und Ziel die nötigen Medikamente. Buster mochte die Ebenen von Västergötland, weil man hier so weit sehen konnte, und Sonja gefiel es sowieso überall, solange sie nicht hungern musste und Frauchen sie ab und zu mit einem freundlichen Wort – oder zwei – bedachte. In letzter Zeit war da ja auch noch dieser alte Mann, und das gefiel dem Elefanten noch besser.
Für Benny und die Schöne Frau herrschte ständig eitel Sonnenschein, und das ganz wetterunabhängig. Wären sie nicht so dermaßen zur Fahndung ausgeschrieben gewesen, hätten sie vom Fleck weg Hochzeit gefeiert. Wenn man erst mal ein reiferes Alter erreicht hat, erkennt man viel leichter, was richtig für einen ist.
Außerdem hatten Benny und Bosse ein brüderlicheres Verhältnis denn je zuvor. Nachdem es Benny gelungen war, Bosse davon zu überzeugen, dass man erwachsen sein konnte, auch wenn man Saft statt Schnaps trank, wurde alles viel leichter. Und Bosse war schwer beeindruckt von den Dingen, die Benny alle konnte. Vielleicht war es ja doch weder albern noch Zeitverschwendung, auf die Universität zu gehen? Es war beinahe so, als wäre der kleine Bruder plötzlich der Ältere, und im Grunde fühlte sich das zur Abwechslung auch mal ganz gut an, fand Bosse.
Allan machte nicht viel Aufhebens von sich. Tagsüber saß er in seiner Hollywoodschaukel, auch wenn das Wetter inzwischen wieder eher so war, wie es in Schweden im Mai sein sollte. Manchmal setzte sich der Piranha auf ein Plauderstündchen zu ihm.
Bei einem dieser Gespräche stellte sich heraus, dass sie dieselbe Vorstellung vom Nirwana hatten. Die äußerste Harmonie lag darin, fanden beide, in einem Liegestuhl unter einem Sonnenschirm zu faulenzen, in einem sonnig-warmen Klima versteht sich, und sich vom Personal gekühlte Drinks aller Art servieren zu lassen. Allan erzählte dem Piranha, wie wunderschön er es damals auf Bali gehabt hatte, als er Urlaub mit dem Geld machte, das er von Mao Tse-tung bekommen hatte.
Doch bei der Frage, was im Glas sein sollte, schieden sich die Geister. Der Hundertjährige votierte für Wodka Cola oder vielleicht Wodka Grape. Zu festlichen Anlässen konnte er sich auch Wodka Wodka vorstellen. Der Piranha Gerdin hingegen zog lebhaftere Farben vor. Am liebsten Orange, das in Gelb überging, ungefähr wie ein Sonnenuntergang. Und obendrauf bitte ein Papierschirmchen. Allan fragte, was um alles in der Welt der Piranha denn mit diesem Schirmchen wolle. Das könne man doch sowieso nicht trinken. Der Piranha erwiderte, Allan habe sich sicherlich in der Welt umgesehen und wisse bestimmt über vieles besser Bescheid als ein alter Knacki aus Stockholm, aber das hier, das verstehe Allan eben einfach nicht.
Und so kabbelten sie sich noch eine Weile weiter über das Nirwana-Thema. Der eine war ungefähr doppelt so alt wie der andere und der andere doppelt so groß wie der eine, aber sie verstanden sich bestens.
Je mehr Tage und Wochen verstrichen, desto schwerer fiel es den Reportern, die Geschichte mit dem mutmaßlichen Dreifachmörder und seinen Helfershelfern am Leben zu halten. Schon nach ein paar Tagen hatten das Fernsehen und die seriösen Tageszeitungen ihre Berichterstattung eingestellt, weil sie der altmodisch-defensiven Ansicht anhingen, dass man einfach nichts sagte, wenn man nichts zu sagen hatte.
Die Boulevardpresse blieb noch länger dran. Wenn man nichts zu sagen hatte, konnte man immer noch jemanden interviewen oder zitieren, der nicht kapierte, dass er auch nichts zu sagen hatte. Allerdings verwarf der Expressen irgendwann die Idee, mit Hilfe von Tarotkarten Spekulationen zu Allans momentanem Aufenthaltsort anzustellen. Bis auf Weiteres wurde nichts mehr über Allan Karlsson geschrieben. Mit frischem Appetit auf den nächsten Schiet , wie es so schön hieß; will sagen, etwas Neues war gefragt, womit man die Nation in Bann schlagen konnte. Schlimmstenfalls irgendeine neue Diät, das zog immer.
Die Medien ließen das Rätsel um den Hundertjährigen also langsam in Vergessenheit geraten – mit einer Ausnahme. Im Eskilstuna-Kuriren berichtete man laufend über diverse lokale Ereignisse, die mit dem Verschwinden von Allan Karlsson in Verbindung standen, zum Beispiel, dass man bei den Schaltern im Reisezentrum jetzt eine neue Sicherheitstür installiert hatte, um vor zukünftigen Überfällen geschützt zu sein. Oder dass Schwester Alice im Altersheim beschlossen hatte, Allan Karlsson habe
Weitere Kostenlose Bücher