Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
nach Byringe Bahnhof.«
* * * *
Beim Frühstück ging Julius mit Allan noch einmal durch, was er in den Morgenstunden alles erledigt und überlegt hatte, während sein Gast noch schlief.
Zunächst der Unfall mit dem Kühlraum. Als Julius klar wurde, dass die Temperatur mindestens zehn Stunden unter dem Gefrierpunkt gelegen hatte, bewaffnete er sich vorsichtshalber mit einem Kuhfuß und öffnete die Tür. Er fürchtete sich nicht, denn wenn der junge Mann jetzt noch am Leben sein sollte, hatte er nicht einen Bruchteil der Kraft, die nötig gewesen wäre, um Julius mitsamt seinem Kuhfuß zu überwältigen.
Doch die Vorsichtsmaßnahme hatte sich als überflüssig erwiesen. Der junge Mann saß zusammengekauert auf seiner Kiste. Sein ganzer Körper war mit einer dünnen Eisschicht überzogen, die kalten Augen starrten ins Leere. Kurz und gut: Er war tot wie ein zerlegter Elch.
Das fand Julius zwar bedauerlich, aber im Grunde auch ganz praktisch. Diesen Hitzkopf hätte man ja ohnehin nicht so ohne Weiteres wieder laufen lassen können. Julius stellte den Kühlgenerator ab und ließ die Tür offen. Tot war der junge Mann sowieso, er musste ja nicht auch noch tiefgefroren sein.
Julius schürte das Feuer im Holzofen in der Küche, damit es warm blieb, und dann zählte er das Geld noch einmal durch. Es waren keine siebenunddreißig Millionen, wie er am Abend zuvor hastig überschlagen hatte. Sondern genau fünfzig Millionen.
Allan lauschte Julius’ Bericht mit Interesse, während er sein Frühstück mit einem so gesegneten Appetit verzehrte wie schon lange nicht mehr. Er sagte kein Wort, bis Julius zum finanziellen Teil kam.
»Na, fünfzig Millionen lassen sich aber auch viel leichter durch zwei teilen. Ganz glatt und gerecht. Wärst du wohl mal so nett, mir das Salz zu reichen?«
Julius tat, worum Allan ihn gebeten hatte, und erwiderte, er hätte auch die siebenunddreißig durch zwei teilen können, wenn nötig, aber er finde nun auch, dass es mit den fünfzig viel leichter sei. Dann wurde er wieder ernst. Er setzte sich gegenüber von Allan an den Küchentisch und erklärte, es sei an der Zeit, den stillgelegten Bahnhof für immer zu verlassen. Der junge Mann im Kühlraum könne zwar keinen Schaden mehr anrichten, aber wer wusste schon, was der auf dem Herweg für Staub aufgewirbelt hatte? Jeden Moment konnten zehn neue junge Männer in der Küche stehen und herumtoben, genauso fuchsteufelswild wie der, der gerade ausgetobt hatte.
Allan musste ihm zustimmen, erinnerte Julius aber daran, dass er schon recht betagt war und nicht mehr so gut auf den Beinen wie einst. Julius versprach, dafür zu sorgen, dass sie so wenig wie möglich zu Fuß gehen mussten. Aber verschwinden müssten sie jetzt. Und es wäre wohl das Beste, wenn sie den jungen Mann aus dem Kühlraum mitnähmen, denn es würde den beiden alten Männern wohl kaum zum Vorteil gereichen, wenn ihre Verfolger hier eine Leiche fanden.
Nach dem Frühstück wurde es also Zeit zum Aufbruch. Julius und Allan holten den Toten aus dem Kühlraum und setzten ihn auf einen Stuhl, während sie ihre Kräfte für den letzten Schritt sammelten.
Allan musterte den jungen Mann von oben bis unten und sagte:
»Für seine Größe hat er ungewöhnlich kleine Füße. Seine Schuhe braucht er jetzt doch sicher nicht mehr, oder?«
Julius antwortete, dass es heute Vormittag allerdings recht kalt sei und dass Allan wohl größere Gefahr laufe, sich erfrorene Zehen zu holen, als der junge Mann. Wenn Allan also glaube, dass ihm die Schuhe passten, solle er doch einfach zugreifen. Das Einverständnis des jungen Mannes sozusagen vorausgesetzt.
Die Schuhe waren Allan zwar ein bisschen zu groß, aber sie waren solide und wesentlich besser für die Flucht geeignet als ein Paar ausgelatschte Pantoffeln.
Der nächste Schritt bestand nun darin, den jungen Mann in den Flur zu zerren und ihn die Treppe hinunterzubugsieren. Als zu guter Letzt alle drei auf dem Bahnsteig angekommen waren – zwei im Stehen, einer im Liegen –, fragte Allan, welchen Schritt sich Julius als Nächstes überlegt habe.
»Rühr dich nicht von der Stelle«, befahl Julius. »Du auch nicht«, wandte er sich an den jungen Mann, sprang vom Bahnsteig und lief in einen Schuppen hinter dem einzigen Abstellgleis.
Einen Augenblick später erschien er wieder – mit einer Fahrraddraisine.
»Baujahr 1954«, verkündete er. »Willkommen an Bord.«
Julius saß vorne und tat die Hauptarbeit, Allan saß direkt hinter ihm
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