Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
enger Vertrauter des russischen Zaren Nikolaj gewesen war, der im hoffnungslosen Kampf gegen den Bolschewikenführer Lenin den Märtyrertod gestorben war.
Das Essen wurde im Zelt des Generalstabs serviert. Je mehr Rotwein Allan trank, umso anschaulicher wurden die Schilderungen des väterlichen Heldentods. General Franco hätte kaum ergriffener sein können. Erst wurde ihm das Leben gerettet, und dann stellte sich heraus, dass sein Retter fast schon verwandt war mit Zar Nikolaj II.
Die Speisen schmeckten vorzüglich – alles andere hätte der andalusische Koch nicht gewagt. Und der Wein floss in Strömen, während man einen Trinkspruch nach dem anderen ausbrachte: auf Allan, auf Allans Vater, auf Zar Nikolaj und auf die Familie des Zaren. Schließlich wurde der General vom Schlaf übermannt, während er gerade dazu ansetzte, Allan zu umarmen, um das soeben beschlossene brüderliche Du zu besiegeln.
Als die Herren wieder aufwachten, war der Krieg vorbei. General Franco übernahm die Regierung des neuen Spanien und bot Allan an, als erste Leibwache in seinen Dienst zu treten. Der bedankte sich für das Angebot, antwortete jedoch, wenn Francisco ihn entschuldigen wolle, würde er langsam doch gern in die Heimat zurückkehren. Francisco entschuldigte ihn, und er gab ihm auch noch ein Schreiben mit, in dem er Allan den bedingungslosen Schutz des generalísimo zusicherte (»zeig das vor, wenn du Hilfe brauchst«). Dann stellte er Allan noch eine fürstliche Eskorte bis nach Lissabon an die Seite, von wo seines Wissens Schiffe Richtung Norden fuhren.
Wie sich herausstellte, fuhren von Lissabon Schiffe in alle möglichen Richtungen. Allan stand am Kai und überlegte eine Weile. Dann suchte er sich ein Schiff mit spanischer Flagge, wedelte dem Kapitän mit dem Brief des Generals vor der Nase herum, und schon bekam er einen Freiplatz. Dass er für seinen Unterhalt auf dem Schiff arbeitete, kam natürlich überhaupt nicht in Frage.
Der Kahn fuhr zwar nicht nach Schweden, aber während Allan so am Kai stand, hatte er sich ohnehin gefragt, was er dort eigentlich sollte – und ihm hatte einfach keine gute Antwort einfallen wollen.
8. KAPITEL
Dienstag, 3. Mai–Mittwoch, 4. Mai 2005
Nach der Pressekonferenz am Nachmittag setzte sich Humpen erst mal mit einem Bier hin, um in Ruhe nachzudenken. Aber er konnte grübeln, so viel er wollte, er konnte sich einfach keinen Reim auf die Sache machen. Sollte Bolzen tatsächlich darauf verfallen sein, Hundertjährige zu kidnappen? Oder hatte das eine mit dem anderen gar nichts zu tun? Humpen bekam vom ganzen Nachdenken schon Kopfweh, also ließ er es irgendwann bleiben, rief stattdessen den Chef an und berichtete, dass er nichts zu berichten hatte. Woraufhin er die Anweisung bekam, in Malmköping zu bleiben und weitere Anweisungen abzuwarten.
Nach diesem Gespräch war Humpen wieder allein mit seinem Pils. Langsam wurde die Situation richtig stressig. Es gefiel ihm gar nicht, wenn er irgendwo nicht durchblickte, davon bekam er schon wieder Kopfweh. Also wandte er seine Gedanken vergangenen Zeiten zu und erinnerte sich an seine Jugendjahre zu Hause.
Humpen hatte seine Verbrecherkarriere in Braås begonnen, nur ein paar Kilometer von dem Ort entfernt, an dem Allan und seine neuen Freunde sich derzeit aufhielten. Dort hatte er sich mit ein paar Gleichgesinnten zusammengetan und den Biker-Club The Violence gegründet. Humpen war der Anführer, er entschied also, welchen Kiosk sie als Nächstes aufbrachen, um sich die Zigaretten unter den Nagel zu reißen. Er hatte auch den Namen The Violence ausgesucht – Die Gewalt . Und er hatte seiner eigenen Freundin unglücklicherweise auch den Auftrag gegeben, den Namen des Biker-Clubs auf zehn frisch gestohlene Lederjacken zu nähen. Seine Freundin hieß Isabella und hatte in der Schule nie richtig buchstabieren gelernt – auf Schwedisch nicht, und auf Englisch erst recht nicht.
So kam es, dass Isabella statt des richtigen Namens die Aufschrift The Violins auf die Jacken nähte. Da die anderen Clubmitglieder allesamt ganz ähnliche schulische Erfolge vorzuweisen hatten – nicht, dass irgendein Erziehungsberechtiger sich groß darum geschert hätte –, fiel keinem der Fehler ins Auge.
Daher wunderten sie sich auch nicht schlecht, als eines Tages ein Brief von der Leitung des Konzerthauses in Växjö kam, adressiert an The Violins in Braås, die anfragte, ob der Club sich wohl der klassischen Musik verschrieben habe und ob er sich
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