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Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Titel: Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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Bedenkzeit zu verschaffen. Dann sagte er:
    »Ich bin eigentlich beinahe Tierarzt. Wollt ihr die kurze oder die lange Version hören?«
    Alle waren sich einig, dass sie die Langversion vorzogen, doch die Schöne Frau bestand darauf, dass Benny und sie vorher in den Stall gingen, damit der Beinahe-Tierarzt einen Blick auf Sonjas schmerzendes linkes Vorderbein werfen konnte.
    So blieben Allan und Julius allein am Abendbrottisch sitzen und fragten sich, wie es wohl zugegangen war, dass ein Tierarzt mit Pferdeschwanz als gescheiterter Imbissbudenbesitzer im abgelegensten Winkel von Sörmland gelandet war. Und überhaupt, ein Tierarzt mit Pferdeschwanz, wie passte das denn zusammen? Verrückte Zeiten, wirklich. Zu Zeiten von Finanzminister Gunnar Sträng war das noch anders gewesen, da sah man einem schon aus der Ferne an, was er für einen Beruf hatte.
    »Ein Finanzminister mit Pferdeschwanz«, kicherte Julius. »Das wär doch mal was …«
    Benny untersuchte die arme Sonja mit fester Hand. So etwas hatte er während seines Praktikums im Zoo von Kolmården schon mal gemacht. Unter dem zweiten Zehennagel hatte sich der Elefant einen abgebrochenen Zweig eingeklemmt, sodass sich der Fuß entzündet hatte. Die Schöne Frau hatte versucht, den Zweig zu entfernen, hatte aber nicht genug Kraft. Benny brauchte nur ein paar Minuten, bis es ihm gelang, mit beruhigenden Worten für Sonja und einer Multifunktionszange. Doch der Fuß war und blieb entzündet.
    »Wir brauchen Antibiotika«, verkündete Benny. »Ein Kilo oder so.«
    »Wenn du weißt, was wir brauchen, weiß ich, wie wir es kriegen«, meinte die Schöne Frau.
    Doch die Beschaffung der Medikamente erforderte einen nächtlichen Ausflug nach Rottne, daher setzten sich Benny und die Schöne erst mal wieder an den Küchentisch.
    Alle aßen mit großem Appetit und spülten die Mahlzeit mit Bier und Gammeldansk herunter, bis auf Benny, der nur Saft trank. Nach dem letzten Bissen gingen sie ins Wohnzimmer, setzten sich auf die Sessel am Kamin und baten Benny zu erklären, inwiefern er beinahe Tierarzt war.
    Es hatte damit angefangen, dass Benny und sein ein Jahr älterer Bruder Bosse – die in Enskede, südlich von Stockholm, aufgewachsen waren – mehrere Sommer bei ihrem Onkel Frank in Dalarna verbrachten. Der Onkel, der von allen nur Frasse genannt wurde, war ein erfolgreicher Unternehmer, der eine Reihe verschiedenster Firmen besaß und selbst führte. Onkel Frasse verkaufte alles Mögliche, von Wohnwagen bis Kies, und fast alles, was es dazwischen noch gab. Außer Schlafen und Essen widmete er sein Leben fast nur der Arbeit . Er hatte mehrere gescheiterte Beziehungen hinter sich – die Frauen hatten es bald satt, dass Onkel Frasse immer nur arbeitete, aß oder schlief (und sonntags duschte).
    Auf jeden Fall waren Benny und Bosse in den sechziger Jahren mehrere Sommer in Folge von ihrem Vater zu seinem jüngeren Bruder Frasse geschickt worden. Ihr Vater berief sich darauf, dass Kinder frische Luft brauchten. Das mit der frischen Luft lief vielleicht nicht ganz so, wie man sich das vorstellen würde, denn Benny und Bosse wurden kurzerhand am großen Steinbrecher in Onkel Frasses Kiesgrube angelernt. Den Jungs gefiel es aber, obwohl die Arbeit hart war und sie zwei Monate lang mehr Staub als Luft einatmeten. Abends tischte Onkel Frasse das Essen auf, garniert mit seinen Moralpredigten. Sein Lieblingsspruch lautete:
    » Seht zu, dass ihr was Ordentliches lernt, Jungs, sonst endet ihr so wie ich .«
    Zwar kam es weder Benny noch Bosse sonderlich schlimm vor, wie Onkel Frasse zu enden, zumindest nicht, bis er bei einem Unfall in seinem Steinbrecher das Leben ließ. Doch Onkel Frasse hatte immer unter seiner kümmerlichen Schulbildung gelitten. Er konnte kaum Schwedisch schreiben, war schlecht im Rechnen, verstand kein Wort Englisch, und wenn ihn jemand fragte, konnte er mit Müh und Not angeben, dass Oslo die Hauptstadt von Norwegen war. Das Einzige, worauf Onkel Frasse sich verstand, war das Geschäft. Und damit wurde er stinkreich.
    Wie vermögend Onkel Frasse bei seinem Hinscheiden wirklich war, konnte man schlecht sagen. Wie dem auch sei, er starb, als Bosse neunzehn und Benny knapp achtzehn war. Eines Tages meldete sich ein Anwalt bei Bosse und Benny und teilte ihnen mit, dass sie beide testamentarisch von Frasse bedacht worden waren, dass die Angelegenheit jedoch ein bisschen kompliziert sei und ein persönliches Gespräch erforderlich mache.
    So fanden sich Bosse und

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