Der Hypnosearzt
Haare aus der Stirn. »Das heißt Steffen, nicht Doktor. Darin waren wir uns doch einig? Also was ist? Sag's mir gleich, Berta, dann hab ich's hinter mir. – Wie geht es ihr?«
»Steffen, Menschenskind, Steffen …«
Zwei Hände legten sich auf seine Schultern, zogen ihn an eine füllige Brust. Nun konnte er Bertas Augen erkennen. Sie lachten.
»Steffen! Ich kann's nich' fassen, Mensch! Komm in die Küche.«
Und dort blieb sie stehen und starrte ihn an. »Steffen, sie hat gegessen! Und ob! Wie nie … Den ganzen Reis … na, sagen wir, den halben. Aber das macht ja nichts. Wirklich mit Appetit hat sie gegessen … Wir werden ja sehen, ob sie's bei sich behält.«
Er nickte. »Weiter?«
»Ja, was weiter? Glücklich war sie. Sie sagte: ›Der liebe Gott wird den Kopf schütteln über den Steffen. Der konnt's nämlich besser als er. Nein‹, hat sie gesagt, ›der Steffen ist der liebe Gott. Er hat mir alles weggezaubert. Berta‹, hat sie gesagt. ›Das kannst du dir nicht vorstellen …‹ Und dann hat sie geheult: ›Nichts spür ich mehr. Kein bißchen Schmerzen.‹«
»Weiter?«
»›Und wenn die wiederkommen‹, hat sie gesagt, ›nehm ich einfach das grüne Tuch.‹«
Berta starrte ihn immer noch an. Ein Blick, der von weither kam, war es, ein Blick, in dem viel Erfahrung und noch mehr Hilflosigkeit lagen. »Und das ist Hypnose, Steffen?«
Er ließ sich auf den Stuhl fallen. Es war Hypnose – und ein bißchen mehr … Glück vielleicht?
»Hast du 'n Bier?« fragte er.
Sie holte eine Flasche aus dem Eisschrank. »Ich nehm auch ein Glas.« Und so saßen sie im kalten Licht der Küchenlampe und sahen sich an.
Schließlich sagte Berta noch etwas: »Da kam ein Anruf für dich.«
»Vom wem?«
»Von deiner Frau. Sie sagt, sie braucht dich zu Hause. Wann du kommen würdest … Sie hätte so viel zu tun in der Praxis.«
Er schwieg. Er wußte, daß sein aufschießendes Unbehagen fehl am Platze war. Es gab noch andere Menschen außer der alten Frau dort drüben auf dem Sofa.
Berta trank ihr Glas leer. »Na, jetzt kannst du ja fahren. Mach dir keine Sorgen. Wenn etwas ist mit Rosi, ruf ich dich sofort an.«
»Nicht, wenn etwas ist, sondern sobald die Schmerzen wiederkommen.«
»Versprochen«, sagte Berta.
Aber es kam kein Anruf in den folgenden Tagen.
Stefan selbst hatte einige Male angerufen und jedesmal dieselbe Antwort erhalten: Tante Frosch ginge es gut. Den Umständen nach … So betrachtet, gehe es ihr sogar ausgezeichnet. Sie klage noch immer nicht über Schmerzen. Ein Wunder!
Na gut, es war ›sein Wunder‹ – vielleicht.
Dann, inzwischen waren zehn Tage verstrichen, erhielt er Dagmars Telegramm.
Der Text lautete: Gestern nacht ist Rosi ganz sanft entschlafen.
Ein einziger Satz.
Nur, was macht man damit? Er konnte die Buchstaben so lange anstarren, wie er wollte, es blieben dieselben. Wieso erschienen sie ihm so unwahrscheinlich? Hatte er es nicht erwartet? Konnte es eine bessere Nachricht geben als diese? ›Ganz sanft entschlafen‹ – das hieß doch, ohne Schmerzen?
Aber auch das half nicht weiter.
Stefan saß in seinem Büro. Draußen war das übliche Praxisgemurmel zu hören.
»Es gibt nun einmal Dinge, die du nicht ändern kannst«, sagte Christa und legte die Hand auf Stefans Schulter. »Schon deshalb nicht, weil sie einfach normal sind. Und dazu gehört, daß eine sechsundsiebzig Jahre alte Frau stirbt.«
Sein Verstand sagte das gleiche. Sein verdammter Verstand stellte auch Fragen. Sie liefen stets auf dasselbe hinaus: Warum?
Und – sechsundsiebzig Jahre?
Auch bei den Leuten, bei denen Liebherr den Krebs zum Stillstand gebracht hatte, hatte es sich schließlich um ältere Menschen gehandelt … Gut, du hattest keine Übung in der Krebsbekämpfung, aber du hast Liebherr bei der Arbeit zugesehen. Du hast die Berichte gelesen, die Technik kanntest du auch, im Wesentlichen war sie ja dieselbe, die du anwendest.
Na also! Gib dir schon die Antwort: Warum, Herrgott, hast du derart versagt?
KAPITEL 2
Das Amulett der heiligen Magdalena begann zu zittern, schwang aus und wurde zu einem dunklen Flirren vor Stefans Augen.
Er hatte die Autobahnbaustelle bei Siegburg erreicht. Die Reifen seines Wagens holperten über den Waschbrettbelag, den er schon von der Herfahrt kannte. Stefan griff mit der linken Hand nach oben zur Sonnenblendenaufhängung, an der er das Amulett befestigt hatte, streifte es ab und spürte die Berührung der dünnen Kette in der Hand. Er schloß die Finger
Weitere Kostenlose Bücher