Der Hypnosearzt
hellen Grau, so daß selbst die Horizontlinie kaum auszumachen war. Der Mann dort, lang, dunkel und leicht nach vorn gekrümmt, wirkte wie ein gebogener Zeigefinger.
Es war sein Vater.
Als Charlie herankam, erkannte er, daß er die Angelrute in die Aluminiumhalterung gesteckt hatte, die er immer mit sich herumtrug. Wie ein Strich stand sie neben ihm. Die Angelschnur hing im Wasser; sie schien ihn nicht zu interessieren.
Er stand nur da und sah aufs Meer hinaus, ein Anblick, der einen krank machen konnte.
Charlie streckte die Hand aus und tippte vorsichtig auf die rechte Schulter. Maurice Benoît fuhr nicht zusammen, drehte auch nicht den Kopf, er murmelte nur etwas, das so klang wie ein »Du Charlie?«
»Ja, ich.«
Charlie ging um seinen Vater herum und pflanzte sich vor ihm auf.
Das magere Gesicht war dunkel, das Haar schwarzweiß gesprenkelt. Richtig weiß war die ungerauchte Gauloise, die in Benoîts rechtem Mundwinkel klebte.
»Ich muß dich sprechen.«
Maurice Benoît sah seinen Sohn an, als existiere er gar nicht, als sei er grau und durchsichtig wie das Meer. Charlie kannte den Blick. Er nahm ihn nicht übel. Er kam gut mit dem Alten aus, er liebte ihn – doch in letzter Zeit hatte der Vater immer wieder diesen Blick, und Charlie wußte genau, was er bedeutete und womit dieses ganze verdammte Elend zu tun hatte.
»Und was ist?« fragte Maurice.
»Vielleicht habe ich Mist gebaut.«
Der abwesende Ausdruck im Gesicht seines Vaters wich Interesse. »Wieder mal?«
»Wieder mal.«
»Und wo?«
»Auf der Baustelle, am Parkplatz vor den drei Baracken. Ich wollte zum Strand, aber bei dem Betrieb kommst du ja gar nicht durch, und so stellte ich meine Kawasaki auf den Parkplatz. Aber da kam so ein Gorilla, der sich für einen Wachmann hält, und wollte mich aufmischen.«
»Und?«
»Und? Ich hab's ihm gegeben. Ich sag das nur, falls 'ne Anzeige eingeht. Aber das ist nicht alles …«
»Was noch?«
Die Möwen kamen zurück, drehten eine Kurve. Sie schrien jetzt so laut, daß Charlie nicht verstehen konnte, was Maurice Benoît sagte.
Charlie ging zu der Angel, nahm sie aus der Halterung, griff sich auch die und zog die Leine ein: »Ich brauch was zu essen. Komm, gehen wir ins Le Pêcheur . Ich lad dich zu 'ner Bohnensuppe ein.«
»Was war noch?«
»Komm schon …«
Sein Vater setzte sich in Bewegung. Er ging langsam und achtete sorgsam darauf, wohin er die Füße setzte. Charlie beschloß, es sei besser, gleich damit anzufangen, niemand wußte schließlich, wer im Le Pêcheur mithören konnte.
»Auf dem Parkplatz dort stand der Landrover des Deutschen … Na, das ist normal. Aber gleich dahinter konntest du einen Superschlitten bewundern. Und den kennst du.«
Sie waren wieder am Anfang der Mole, dort wo es die dicke Zementmauer gab, die zum ehemaligen Flak-Stand gehörte.
Charlie hielt an.
»Ein weißes Supercoupé. Das prächtigste weiße Supercoupé der Gegend. Und du bist einer der wenigen, der es kennt. Meist versteckt es nämlich dein Kumpel Donnet in der Scheune seines Schwiegervaters, nicht? Wenn er darin rumfährt, fährt er gerade mal in den Wald damit. Dabei ist es doch so schön. Gefällt dir doch auch, oder?«
Er bekam keine Antwort.
»Vielleicht kam Donnet gerade aus dem Wald«, sagte Charlie. »Und vielleicht mußte er dringend mit seinem Freund, dem Deutschen, reden. Vielleicht aber macht es ihm neuerdings überhaupt nichts mehr aus, neben dessen Luxusschlitten seinen Sportwagen zu stellen. Vielleicht hat er es gar nicht mehr nötig, aufzupassen. Vielleicht aber ist er auch einfach nur verrückt geworden.«
Sie standen im Schatten der Mauer und sahen sich an.
Und jetzt schien es mit Benoîts Fassung vorbei. Der Mund zuckte, er drückte seinen Sohn gegen den harten Zement und sah ihn an.
»Hör endlich auf damit. Wie oft muß ich dir das noch sagen?«
»Das werde ich nicht. Ich will wissen, was passiert ist. Und du weißt es.«
Benoîts Atem ging schwer und keuchend. »Das waren damals nichts als ein paar Worte – und dämliche dazu.«
»Das war die Wahrheit.«
»Hör zu, Charlie. Ich war Pascals Freund. Das stimmt. Aber genauso stimmt es auch, daß ich und du – ja, wir beide, Charlie –, daß wir einpacken können, wenn du weiterhin damit hausieren gehst.«
»Ortiz war mein Lehrer. Und er war auch mein Freund. Und Fabien ist es auch. Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?«
»Charlie …« Maurice Benoît kniff die Augenlider so fest zu, daß in den Winkeln und
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