Der Hypnosearzt
die von ihr ausging.
Sie setzte sich nicht. Sie blieb vor ihm stehen und sah auf ihn herab. »Hat Thomas mit Ihnen über die Klinik gesprochen?«
»Das hat er.«
»Und?«
»Ich habe doch gerade versucht zu erklären, warum …«
»Warum Sie ablehnen?«
»Ich habe es nicht getan … Thomas war einfach zu begeistert. Ich wollte ihn nicht verletzen, verstehen Sie?«
»Und ob ich verstehe …«
Sie ließ sein Gesicht nicht aus den Augen, und es strömte eine Intensität aus diesem Blick, wie er es selten bei einem Menschen erlebt hatte, Kraft – aber auch Enttäuschung.
»Sie sollten es auch nicht ablehnen, Stefan. Gut, ich dachte bisher ganz egoistisch, ich dachte einfach an Bella und die Hilfe, die Sie ihr geben könnten – aber jetzt denke ich an Sie. Thomas mag Sie, er mag Sie sogar sehr. Und er mag Sie auf eine Weise, deren Gründe mir bis jetzt noch nicht recht klar sind. Vielleicht hat es mit dieser Unfallnacht zu tun, vielleicht ist es etwas anderes – nennen wir es Anziehungskraft. Er hat wenige Freunde, vielleicht, sucht er nun Freundschaft bei Ihnen? Was auch immer – er will Sie als Partner haben. Und das wiederum heißt, daß er Sie in unser Leben einzubauen versucht.«
Stefan griff nach dem Glas, es war leer. Er hielt es in der Hand. Wie sollte er jetzt reagieren, was sollte er darauf antworten?
Maria Lindner beugte sich zu ihm. »Eines steht fest: Was Thomas wollte, hat er noch immer erreicht. Vielleicht schafft er es auch bei Ihnen …«
Sie war ihm nun so nahe, daß er den Duft ihres Haares und ihr Parfüm riechen konnte. Ihre rechte Hand legte sich auf seinen Handrücken. »Stefan, mich würde es auch freuen. Sehr sogar, wirklich sehr. Bitte, denken Sie nochmals darüber nach.«
Denken, natürlich, nur wie? Er blickte auf diese Hand, auf die schlanken Finger, die keinen einzigen Ring trugen, auf lackierte Nägel und zwei oder drei blaue Farbreste, die in den zarten, winzigen Falten nisteten, und spürte die Wärme, die von ihr zu ihm floß, spürte sie so stark, als habe sie nicht den geringsten Widerstand zu überwinden, als gäbe es keine Haut, keine Muskeln, als träfe Nerv auf Nerv …
»Versprochen?« fragte Maria.
Stefan nickte.
Das ist das letzte Mal! Fabien Lombard schwor es sich, als er zusammen mit Régine an dem Rand der Brandstelle entlanglief. Da lagen noch die beiden Wasserflaschen, der Rechen und der kleine Dreizack, den er jeden verfluchten Zentimeter durch diese verdammte Asche gezogen hatte.
Umsonst …
Fabien warf alles in den Matchsack, den Régine ihm hinhielt. Als er hier geschuftet und geheult hatte vor Verzweiflung, hatte er es kaum ertragen, wenn sie am Aschenfeld bei ihm auftauchte – jetzt war er froh um Régine … Doch die Schachtel mit den Fotos war nicht zu finden gewesen. Er mußte sich etwas anderes einfallen lassen. Er mußte mit Charlie reden.
»Was war da drin in dem Blechding, Fabien? Wieso sagst du mir's nicht endlich?«
Er sah Régine nur an. »Alles.«
»Was alles?«
»Das ka-kann ich dir nicht erklären und über-überhaupt …« Die Sätze brachen ab, er verstummte.
Die Schachtel hatte Fabien gesehen, als sein Vater sie eines Abends in seinen Kleiderschrank schob, um ihn dann wieder sorgfältig zu verschließen. Fabien hatte damals dieselbe Frage gestellt wie heute Régine.
»Fabien«, hatte sein Vater geantwortet, »da drin ist Munition, nein – Dynamit. So viel, mein Junge, daß ich das Ding nur zu zünden brauche, und alles fliegt hier in die Luft. Und den Knall, das kannst du mir glauben, den hörst du bis Paris.«
»Was fliegt in die Luft? Das deutsche Schwein?«
»Nicht nur Lindner. Er ist nicht der einzige Verbrecher. Wenn man sich's genau überlegt, sind die anderen noch schlimmer. Die schließen ja solchen Schweinen wie dem Deutschen erst die Tür auf.«
»Welche anderen?«
Sein Vater hatte ihn nur angesehen und den Kopf geschüttelt.
Dann, eines Abends, war es doch soweit gewesen.
Fabien war spät nach Hause gekommen, sein Vater hatte wie immer für ihn mit gekocht, Lammragout und Bohnen.
»Das Essen steht auf dem Ofen. Mach's dir warm, Fabien.«
Der Alte hatte eine Flasche Wein vor sich, Merlot-Spätlese, das war der beste Wein, den man in der Gegend bekommen konnte, aber als Exchef der Genossenschaft wurde Pascal immer wieder einmal eine solche Flasche von seinen alten Kumpels zugeschoben. Da saß er also, drehte das Glas, und Fabien erkannte: Die Hälfte der Flasche hatte der alte Mann schon geschafft.
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