Der Hypnosearzt
Hochstimmung hatte sich gelegt, die Vernunft meldete sich zurück. Er hatte einen Traum geträumt, doch der Wirklichkeit würde er kaum standhalten.
Stefan hielt die Armbanduhr in den Helligkeitskreis des Windlichts: zehn Uhr dreißig. Dann tippte er die Nummer ein, die Jürgen ihm durchgegeben hatte. Er war ziemlich nervös gewesen, der gute Jürgen … In der Mühle war er nicht? Wahrscheinlich steckte er bis zum Hals in Arbeit.
Es knackte. Dann das Freizeichen. Stefan wartete – nichts, nur die Wiederholung des Summtons.
Er legte auf.
Vielleicht waren sie ausgegangen, Doris, Christa und wer immer sich von den Rüttgers bei diesem Geburtstag in der Mühle herumtrieb. Und die Kinder schliefen. Morgen versuchst du es noch mal, nahm Stefan sich vor, doch was konnte er Christa sagen? »Das Wetter ist herrlich, die Nächte sind so warm, daß du im Meer schwimmen kannst. Unser Freund Lindner baut eine ganze Ferienstadt. Und eine Klinik gehört auch dazu. Die baut er extra für mich. Und du, Christa, du sollst hierher kommen …«
Erholungsbedürftige Manager? Den Teufel wird sie tun, dachte Stefan. Eine Frau wie Christa arbeitet eher fürs Sozialamt. Also – von wegen Luxusklinik für gestreßte Millionäre! Nimm die Realität zur Kenntnis. Alles andere bleiben Träume. Zwecklos, einen Gedanken daran zu verschwenden.
Er stand auf, blickte über das Meer, nahm noch einen Schluck aus der Flasche des leichten Tafel-Rosé, die für ihn bereitstand, und da er nun schon einen eigenen Pool hatte, warf er die Kleider auf den Stuhl und sprang ins Wasser. Er legte sich auf den Rücken und blickte hoch zu diesem ungerührt grinsenden Mondgesicht.
Die ganze Reise an die Côte, was war sie schon? Eine Flucht. Eine elende Flucht in Illusionen. Stefan wußte es, hatte es von Anfang an gespürt. Jetzt wußte er noch etwas anderes: Der Traum, den er auf dem Col geträumt hatte, würde ihn nie mehr loslassen …
Stefan Bergmann träumte einen zweiten Traum in dieser Nacht: Die Klinik war Wirklichkeit geworden. Da stand sie nun vor ihm, mit spiegelnden Fenstern, einer von Rosen gesäumten Auffahrt, die Eingangstüren flogen auf, Menschen kamen heraus, Ärzte in ihren Kitteln, Schwestern in schneeweißen Uniformen.
» Bonjour , Monsieur! Bienvenue !« riefen sie.
Er aber blieb stehen. All diese Menschen dort hatten keine Gesichter, sie waren unter Masken verborgen, und es war stets dieselbe Maske. Es war stets derselbe grinsende Mund …
Schweißgebadet erwachte Stefan an diesem Morgen. Seine Uhr zeigte kurz nach neun. Er stand auf, noch benommen von Alptraum und Schlaf. Eines war dennoch klar: Die Entscheidung war gefallen. Er würde, konnte seine Ehe nicht aufs Spiel setzen. Und das gleiche galt für die Arbeit der letzten Jahre.
Draußen auf der Terrasse hörte er Schritte und das Klirren von Geschirr.
Stefan ging ins Bad, duschte, trocknete sich ab und warf den Bademantel über die Schultern.
Er öffnete die Terrassentür.
»Ein herrlicher Morgen, nicht wahr, Monsieur? Ich habe Ihnen frische Erdbeeren gebracht. Vielleicht mögen Sie die?«
Porzellan funkelte, der Kaffee wartete, Orangensaft stand bereit, und Ronny in seiner weißen Weste strahlte Stefan an. Er trug keine Maske.
»Haben Monsieur sonst noch Wünsche?«
Er hatte keine. – Doch, den einen: Nie hierher gekommen, nie nach Le Castelet gefahren, nie einer Frau, die Maria hieß, begegnet zu sein.
Nach dem Frühstück ging Stefan durch den Garten. Unter blühenden Bougainvilleas nahm er eine der Treppen zum Haupthaus. Auf einer der Stufen verharrte er. Vom Landeplatz des Hubschraubers kam ein feines Singen, das schnell zu einem dunklen Röhren anwuchs. Wenige Sekunden später hörte Stefan das Knattern, das er kannte: Der Hubschrauber hatte abgehoben, hing nun für einige Sekunden als schwarzer Schattenriß über den Baumwipfeln und verschwand.
War das Lindner? Oder saß Paco am Steuer? Vielleicht hatte Thomas den Piloten mit irgendeinem Auftrag losgeschickt …
Stefan stieg weitere kleine Treppchen hinauf, kam an Mimosen und Blumenrabatten vorbei und wunderte sich darüber, wie sehr er sich an den Vornamen Thomas bereits gewöhnt hatte: Thomas, der gute alte Thomas … Als sei er tatsächlich ein Freund … Und dann dachte Stefan wieder an Maria, an ihre Ehe und fragte sich zum dutzendsten Mal an diesem Morgen, was das alles sollte?
Er kam auf die Terrasse. Ein Gärtner, ein dunkelhäutiger Provenzale, lehnte auf seinem Rechen und nickte Stefan zu.
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