Der Hypnosearzt
Bonjour «, sagte Stefan. »War das gerade Monsieur Lindner, der da abgeflogen ist?«
»Ich bedaure, Monsieur, ich weiß es nicht.«
Stefan schluckte an seiner Enttäuschung. Lindners Anwesenheit im Haus war so wenig zu berechnen wie seine Arbeitszeiten. Einmal fuhr er im Landrover zur Baustelle, dann schwirrte er irgendwo bei irgendwelchen Geschäften im Hubschrauber durch die Gegend. Es hieß, Herr Lindner sei bei einer Konferenz, und keiner hatte eine Ahnung, wo die eigentlich stattfand. Doch wahrscheinlich war das vollkommen normal. Ein erfolgreicher Baulöwe und Anlagebanker – wie willst du da wissen, wie solche Leute ihren Job durchziehen?
Stefan ging über die Terrasse. Und blieb nochmals stehen.
»Was ist heute? Ein Feiertag?« rief er dem Mann mit dem Rechen zu.
Der Gärtner nickte.
Die Büros dort im Schatten der Säulen waren leer, die Zeichentische sauber aufgeräumt – und Lindner war weg. Auch das ändert nichts. Notfalls, nahm Stefan sich vor, schreibst du ihm einen Abschiedsbrief. Er hatte seinen Entschluß gefaßt und war sich dabei darüber klar: Es war eine zweite Flucht, die Flucht zurück in die Welt, zu der er gehörte, eine Flucht vor Träumen. Aber es war wohl gleichzeitig die Niederlage der herrlichen Vision, die er gestern abend nach dem Besuch bei Maria Lindner oben am Col gehabt hatte. Er würde abreisen – und das sofort.
Also schreib ihm deinen Brief, das bist du ihm schuldig. Er hat dich als feste Größe in seine Kalkulationen einbezogen, und Leute wie er wollen nun einmal wissen, welche Karten sie in der Hand haben.
Der Hügel. Die weiße Stadt darauf. Das Meer …
Und ganz oben die leere Fläche, auf der noch kein Gebäude stand …
Stefan Bergmann blickte durch das Fenster auf das Modell. Es war beleuchtet. Irgend jemand mußte vergessen haben, das Licht auszuschalten.
Die nächsten Schritte tat er beinahe unbewußt. Die große Eingangstür zum Bürotrakt stand offen. Er trat ein, wandte sich nach links, ging an der gläsernen Trennwand entlang bis zur Tür des Modell-Raumes und drückte auf die Klinke.
Die Tür war verschlossen.
Stefan zuckte mit den Schultern und blieb stehen. Er hatte die Nase gegen die Scheibe gepreßt wie ein Kind vor der Auslage eines Spielzeuggeschäfts. Und dort drin wartete seine elektrische Eisenbahn: der Spielzeughafen von Port Les Fleurs mit seinen Hotels und Yachten, all die weißen Häuser am Hang, die Pools, die Bäumchen. Oben aber …
Stefan drehte sich um, ging noch einige Schritte weiter, denn am Ende befand sich eine weitere Tür, und sie war nur angelehnt.
Ziemlich unwahrscheinlich, daß Lindner sich hier herumtrieb …
»Thomas!« rief Stefan.
Er bekam keine Antwort.
Mit dem Knie schob er die Tür weiter auf. Es war ein großer rechteckiger, fensterloser Raum, den er betrat. Die einzige starke Lichtquelle kam von der Schreibtischlampe, die das Arbeitsbord beleuchtete, das sich gleich links neben der Tür befand. Die Wände waren bis zur Mitte mit elektronischen Geräten förmlich tapeziert: dunkles Metall, versehen mit unzähligen Schaltern und Lichtpunkten, die mattgrauen Wölbungen von Monitoren, die grünlich glimmenden winzigen Fenster der Anzeigen …
Elektronik gehörte zu Stefans großen Kenntnislücken. Sein Wissen reichte aus, um die wenigen Handgriffe anzuwenden, die er brauchte, um auf dem Burgacher Computer eine Krankengeschichte abzurufen.
Hier drin aber sah es aus wie in der Kommandostelle der Verkehrspolizei. Oder der Überwachungszentrale eines Geheimdienstes. Was sollte das alles? Hatte Lindner ihm nicht einmal erzählt, daß er das gesamte Gelände von Videokameras kontrollieren lasse, seit im Frühjahr einige wildgewordene Port-Les- Fleurs - Gegner versucht hatten, ihm das Haus anzuzünden.
Na gut, aber ein solcher Aufwand?
Stefan wollte sich umwenden, um zu gehen, als sein Blick auf einen braunen festen Umschlag fiel. Er lag auf dem Bord des Arbeitstisches. Ein DIN-A5-Format. Guest- house -Report war mit Filzstift darauf geschrieben. Aus dem Umschlag ragte die Kante eines Papiers.
Es war kaum ein Gedanke, eher ein fast absichtsloser Reflex, der Stefan dazu veranlaßte, das Papier aus dem Umschlag zu ziehen. Ein Gästehausbericht? Er hielt drei Blätter in der Hand, und schon der erste Blick genügte, um jeden Nerv in ihm zu mobilisieren. Was zum Teufel war das? Drei vorgedruckte Formulare, die Schrift eine Computerschrift, und was sie festhielt, schien das Protokoll eines Gesprächs zu
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