Der Hypnosearzt
derartigen Rekordzeit geschafft wie an diesem Abend.
Als er ins Krankenhaus stürmte, hatte er ein halbes Dutzend roter Ampeln überfahren, war dreimal, als der Verkehr sein Weiterkommen blockierte, über Bürgersteige geprescht, so daß sich die Passanten nur mit großen Sprüngen zu retten vermochten, aber Gott sei Dank, schon der Mann im Pförtnerhaus wußte Bescheid. »Der Polizist aus Cavalaire? Und Sie sind der Sohn, Monsieur? – Tut mir leid, aber Ihr Vater wird noch operiert. Sieht ziemlich schlimm aus. In den OP können Sie ja nicht rein – aber Moment mal … Ich werde versuchen, daß Sie mit Dr. Bourrier reden können. Das ist der Notarzt, der Ihren Vater gebracht hat. Soviel ich weiß, ist er noch im Haus.«
Dr. Bourrier war ein blasser, bebrillter junger Mann, der noch aussah wie ein Student.
»Ja nun …« Der Arzt hob hilflos beide Hände. »Er lag verdammt lange dort unten eingeklemmt in seinem Auto. Und das sah vielleicht aus. Das müßten Sie sehen …«
»Ich will nicht das Auto sehen, ich will wissen, was mit meinem Vater ist.«
»Ich verstehe Sie ja … Setzen wir uns hierher.«
Sie setzten sich nebeneinander auf zwei Klappstühle an der Wand. Bourrier legte Charlie die Hand aufs Knie. »Was mit Ihrem Vater ist, werden wir erst wissen, wenn die Operation vorbei ist. Und im OP arbeitet das ganze Team. Was ich vorab feststellen konnte, kann ich Ihnen sagen: Schädelbruch, Bruch der Beckenschaufel, vier Rippen und das Sternbein gebrochen, und das bedeutet mit Sicherheit eine Lungenquetschung. Die Milz scheint in Ordnung, das habe ich noch erfahren. Was ich nicht weiß, was aber bei dieser Unfallart leider ziemlich wahrscheinlich ist – ob die Wirbelsäule auch etwas abbekommen hat.«
Er sah Charlie an. »Das alles klingt verdammt brutal, aber besser, Sie kennen die Wahrheit.«
Charlie nickte. »Danke. Und – kommt er durch?«
Darauf gab der Doktor keine Antwort, sondern wiegte nur den Kopf hin und her.
Die rechte Vorderradfelge des Jeeps riß einen Feldstein aus seinem Erdbett, schleuderte ihn hoch, ließ den Wagen tanzen, so sehr, daß Stefan Bergmann sich am Steuerrad festhalten mußte und alle Mühe hatte, den Jeep wieder in die Fahrtrichtung zu bringen. Was ist nur los mit dir? Herrgott, du jagst wie ein Irrer, hast keine Augen für den Weg – und warum? Doch nicht etwa, weil du einer Frau mit dunklen Haaren gegenübergesessen hast, weil dich ihre Geschichten aus dem Gleis geworfen haben …
Bleiben Sie hier, Stefan … War es das, diese beschwörende Bitte, all die Argumente, die nur darauf hinausliefen?
Er fuhr den Wagen an die Böschung, hielt an, lehnte sich zurück, starrte in den grau-diesigen Himmel und schloß die Augen. Seit wann läßt du dich derart aus dem Gleichgewicht bringen?
Noch einmal versuchte Stefan sich die anderthalb Stunden, die er in Maria Lindners Bauernhaus verbracht hatte, ins Gedächtnis zu rufen und zu einem vernünftigen Schluß zu kommen. Es gelang ihm nicht. Marias Bild überlagerte alles, und er hatte das Gefühl, sie sähe ihn noch immer an mit diesen Augen, die sich in ihn einbrannten. Dazu diese Stimme, die die überraschendsten Dinge so ruhig und gelassen aussprach, als handle es sich um nichts anderes als eine belanglose Konversation. Und noch seine eigene Verwirrung, seine Unfähigkeit, unter dem Eindruck, den Maria auf ihn machte, einen klaren Gedanken zu fassen, ja, auch nur eine vernünftige Frage zu stellen, unter anderem die sehr naheliegende: Wie erträgt Ihr Mann das alles? Was sagt denn Thomas dazu, daß Sie eine Frau lieben und mit ihr zusammenwohnen?
Und du, fragte Stefan sich. Was sagst du dazu?
Und noch naheliegender: Was geht dich das alles überhaupt an? Wieso beschäftigt es dich derartig, ihr: Bleiben Sie hier, Stefan. Überlegen Sie es sich. Auch Thomas will das. Überlegen Sie sich das nochmals mit der Klinik.
Stefan brachte das nicht aus dem Kopf. Und wenn er ehrlich zu sich war, dann war es Maria, die ihm nicht aus dem Kopf ging …
Und ausgerechnet in dieser Situation mußte ihm sein Schwager einfallen, Jürgen Rüttger, der erfolgreiche Dermatologe und Held in allen Betten. »Erotik, körperliche Anziehung, Liebe, was ist das anderes als der alte blöde Jux, den die Hormone mit dir spielen? Da fallen dir so ein paar Milligramm Testosteron ins Blut, und schon wächst dir der Trieb über den Kopf! So geht's doch jedem, nicht nur den Gefangenen im Knast, auch den Klosterbrüdern in der Zelle – mir, dir.«
Jürgen,
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