Der Hypnosearzt
der verhinderte Philosoph! Vielleicht würde er gerade in seiner Wassermühle Christa ähnliche Vorträge halten.
Erotik, körperliche Anziehungskraft? Hatte er, Stefan Bergmann, sich verknallt? Er wehrte sich gegen diesen Gedanken und erlag ihm trotzdem. Vielleicht war es auch etwas anderes? Vielleicht war es das Land, sein Abstand zu Burgach, der Flug hierher, der mehr und mehr wie eine Art Flucht erschien, eine Flucht in eine andere Welt, beinahe in ein Paradies, zumindest ein Paradies der Träume.
Erneut ließ Stefan Bergmann den Motor an, steuerte den Wagen vorsichtig auf die Landstraße, die von Ramatuelle nach Saint-Michel führte, fuhr langsam, um die Touristenautos vorbeipreschen zu lassen, die dem Meer entgegenjagten.
Ein Dorf tauchte auf.
Auf der Hinfahrt hatte Stefan nicht auf den Ortsnamen geachtet. Deshalb fuhr er nach Gefühl: er bog von der Hauptstraße ab und steuerte den Jeep zwischen engen und kurvenreichen, winkligen Straßen dem Ortskern entgegen.
Die Räder hämmerten auf den Asphalt, und jeden der Pflastersteine spürte er bis ins Kreuz, doch da öffnete sich endlich der Marktplatz und wurde zu einer provenzalischen Bilderbuchansicht: drei Kneipen mit roten Markisen, eine Doppelreihe von Platanen, und darunter saßen die Leute auf Metallgartenstühlen. Im Hintergrund aber gab es eine Boule-Bahn, auf der Männer in weißen Hemden und mit schwarzen Baskenmützen ihre eiserne Kugel schwangen. So mußte es hier immer ausgesehen haben. Seit Hunderten von Jahren …
Stefan fuhr den Jeep in den Schatten, stieg aus und setzte sich auf einen der Caféhausstühle.
Bar Chez Marcel stand auf der braunen Sandsteinfassade. Ein Mädchen mit Zöpfen kam heraus, nicht älter als vierzehn. Es hielt beide Hände an die Wangen und hatte Augen wie dunkle Kirschen. Stefan bestellte einen Rouge und suchte in den Taschen seiner Jeans nach Zigaretten. Er fand keine. Na und?
Die Sonne hatte den Himmel wieder freigebrannt und stand tief über den buckligen Dächern. Sie schien auf den Platz und streichelte Bergmanns Gesicht. Er nahm einen Schluck Rotwein und spürte, wie alle Spannung und jede Unruhe in ihm erloschen.
Bleiben Sie hier, Stefan, gehen Sie auf das Angebot von Thomas ein. Machen Sie mit ihm die Klinik …
Weniger als zwanzig Minuten dauerte es, dann hatte Stefan Bergmann seinen Stuhl auf dem Marktplatz mit einem Felsen auf dem Col vertauscht.
Im Westen strebte die Sonne dem Horizont zu und erfüllte den Himmel über dem Meer mit goldglühendem Feuer. Cavalaire, die Bucht, selbst der endlose Strand, all die Häuser und Villen an den Hängen und vor allem la mer , die See, messingschimmernd in ihrer ganzen befreienden Weite …
Wieder blickte Stefan den Hang hinunter zu den Felsen.
Da springt einer von seinem Boot ins Wasser, kämpft sich durch die Brandung, klammert sich an einem Felsen fest und sagt: Du wirst Teil einer Stadt – meiner Stadt!
Und du, dachte Bergmann, hast du je solche Träume geträumt?
Und: Was sind wir eigentlich ohne Visionen? Hast du schon einmal von einer Klinik geträumt, einem Ort, an dem du frei genug bist, all das umzusetzen, was du kannst, weißt, was dir vorschwebt?
Er sah zur Küste und versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn aus den Baumstümpfen Häuser, Straßen, Parkanlagen wuchsen, wenn dort unten eine ganze Stadt mit einem Hafen stand, wenn das Modell, das Thomas ihm gezeigt hatte, lebendige Wirklichkeit geworden war und hier, genau auf der Erde unterhalb seines Felsens bis hin zu der grauen Brandstelle dort drüben, die Klinik entstand …
Deine Klinik, Stefan!
Eine Klinik mit dem schönsten Blick der Welt, weit weg von aller Hektik, eingebettet in Frieden … Und was die Patienten anging – er würde Lindner schon die Idee von gestreßten Managern ausreden. Er würde sich die Patienten selbst suchen, Leute, die seine Hilfe wirklich brauchten.
Stefan Bergmann lächelte.
Als er sich erhob, um zum Wagen zu gehen, warf er noch einmal einen Blick über den Baugrund und sah es vor sich: das große weiße Haus, eingebettet in Parkanlagen, mit vielen dem Meer zugewandten Balkons …
Er hob die Hand, und er winkte auch den beiden Menschen zu, die dort unten am Rand der grauen Brandfläche standen: Ein Pärchen war es, ein junger Mann und ein Mädchen.
Die Nacht war warm, der Mond warf Silberschnüre auf das Meer, die Sterne funkelten. Auf der Terrasse seines Gästehauses hörte Stefan Bergmann dem Singen der Zikaden zu und wußte nicht weiter. Seine
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