Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
Vom Netzwerk:
den Bauch halten musste. Anschließend rasteten wir längere Zeit an einem der Quais. Als ob Madame Berchod für ihren Übermut bestraft werden sollte, riss der Husten sie auf eine Bank, wo sie sich in ein verkrampfendes Menschenbündel verwandelte, das den Sand vor ihren Füßen mit blutigem Schleim tränkte. So geht´s eben, keuchte sie: »Uns Todgeweihten ist Lachen genauso wenig erlaubt wie den Negern auf einem Sklavenschiff.«
    Ich wusste nichts darauf zu antworten und konnte nicht mehr tun, als Madame mein Eau du Cologne-Fläschchen anzubieten. Sie bediente sich dankbar, schließlich war sie wieder soweit bei Kräften, dass wir den Spaziergang fortsetzen konnten. Nichts konnte Madame Berchod davon abhalten, zu Fuß zu gehen – einfach, wie sie freimütig bekannte, weil sie mich sonst nicht als Mann genießen könne. So schlenderten wir an den Quais weiter in Richtung Pont Neuf, vorbei an Bretterbuden und Verkaufsständen, an denen Süßigkeiten, Brot, Pasteten und Limonade feilgeboten wurde. Herumziehende Händler mit Bauchläden riefen ihre Waren aus: Einer pries Strümpfe, Masken und Perücken an, ein anderer Blechgeschirr und Nägel, eine Zigeunerin bunte orientalische Tücher, ein ungeschlachter Bursche Tabak. Ich sah krallenhaft gebogene Finger, die Kissen, Schachteln und Kästen öffneten, erblickte zahnlose Münder, blauschwarz erfrorene Daumen. Eine Elendsgestalt mit pfundschweren Stofflappen um die Füße schäkerte mit einer klapprigen Dirne mit gelbem Gesicht, deren Blicke so fahrig waren wie dahintreibende Wolkenfetzen.
    »Wie nun muss man es machen?«
    »Wie meinen?«
    »Das wissen Sie ganz genau. Und wagen Sie nicht, Todgeweihte zu belügen.« Ein strenges Hüsteln begleitete die Aufforderung. Ich war hin und her gerissen. Sollte ich mich wirklich auf diese wahnsinnige Frage einlassen? Müßte ich sie nicht empört von mir weisen? Wo ich doch Arzt war und den Eid des Hippokrates geschworen hatte? »Der in der Morgue mit den guten Kleidern: Wie hat er´s gemacht? Ich fand kein Loch, keinen Stich, nichts am Hals. Stattdessen nur ein phänomenales Lächeln.«
    »Wahrscheinlich hat er Drogen genommen und ist dabei eingeschlafen.«
    »Also hat er auch Gift genommen.«
    »Die Kunst besteht darin, sich allmählich um die Luft zu bringen, sich die Atemluft sozusagen kontinuierlich zu verdünnen. Das passiert bereits, wenn man sich einen Wachs-Sack locker über den Kopf zieht und sich damit unter DrogeneinFluss schlafen legt. Anfangs bekommen wir genug Luft, werden aber immer müder, weil allmählich der Anteil des Sauerstoffs schwindet. Schließlich werden wir ohnmächtig – in der Sterbephase dürften wir dann im Drogenrausch die schönsten Bilder und Gefühle erleben, bis …«
    » … bis der Heiland aus dem Lichte tritt und den Selbstmörder in sein Gebet nimmt: Böses böses Menschenkind! Das war so nicht abgemacht. Du hast gegen die Ordnung verstoßen. Nächstes Jahr, da hatte ich vor, dich in der Schlacht von XY verbluten zu lassen. Und du, kleines Frauenkind, für dich hatte ich in neun Monaten ein Kindbettfieber vorgesehen. Was mache ich nun mit so einem wie dir? In die Hölle schicken? Nein, da warst du mir dann doch nicht böse genug, also schick ich dich wieder in die Welt zurück. Aber da ein bisschen Strafe euch Menschenkindern nicht schadet, werde ich dir in deinem zweiten Leben eine Schwester an die Seite geben, und die heisst Schwindsucht.«
    Einem Menschen kann es für einen Augenblick die Sprache verschlagen, neu war mir, dass es einem auch mit den Schritten so gehen konnte. Es war nicht so sehr der niederdrückende Zynismus dieser Worte. Es lag am Ton. Timbre und damit Ausdruck waren von vollendeter Ausweglosigkeit, gleichsam das stimmlich-klangliche Manifest eines Menschen, der sich vollkommen in sein Schicksal gefügt hatte und nichts, aber auch gar nichts Schönes mehr für sich erwartete. Andererseits hätte ich mir schon die Frage gefallen lassen müssen, welcher Art von Hoffnung Madame Berchod sich hätte hingeben sollen. Etwa der, dass die Schwindsucht bei ihr zum Stillstand käme? Oder wir Ärzte in wenigen Wochen die richtige Medizin für sie finden würden?
    Ich schaute ihr nach – verstört und traurig und bemerkte seltsamerweise erst jetzt, wie anziehend Madame Berchod sich zu bewegen wusste. Sie setzte ihre kleinen Schritte mit kokettem Schwung, was charmant und ganz à la mode aussah. So von hinten gesehen, mit ihren wiegenden Hüften – unwillkürlich fragte ich

Weitere Kostenlose Bücher