Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
wird ihr nun – die Stunde ist nah – seine Verbindlichkeiten vererben, für die ich als zukünftiger Gatte Marie-Thérèse` eintreten werde. Mein Freund Balthasar machte ihr dies über die letzten Monate hin schonend klar, nur verschwieg er ihr, auf welche Summe sich die Verbindlichkeiten belaufen.«
Der Comte ließ einen Schluck Champagner über den Gaumen rollen und kostete nach, indem er mit spitzen Lippen ein wenig Luft schlürfte. Er schien sich mit dieser genießerischen Zeremonie beruhigen zu wollen, aber es gelang ihm nicht. Seine Blicke wurden fahrig, und in Wahrheit war seine Anspannung so groß, dass er mit dem Fuß wippte.
Worauf wartete er, fragte ich mich? Dass ich ihn beleidigte? Mich über ihn lustig machte? Nach der Art, häßlicher reicher Aristokrat kauft sich schöne Pianistin?
Und in der Tat, für einen Moment war ich der Gefangene einer Flut von Bildern: Da war ein gelber Zweiradkarren, die Kanzlei der Conciergerie, Daniel Rolands runzliges Gesicht und sein minderwertiger Cognac. Im nächsten Augenblick erinnerte ich mich an Rüschen und Samt-Pantoffeln, deren groteske Anmut nur noch von Hélènes Silberblick übertroffen wurde. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Mit anderen Worten: Ohne meine Hypnose Hélènes und die sich daraus ergebende glückliche Auffindung des Lösegelds säße der Comte gar nicht mehr hier. Ohne mich wäre er bankrott – und Marie-Thérèse nicht seine Verlobte.
Jetzt war es an mir, Champagner zu trinken. Nach einem Sieg hat man ihn verdient, nach einer Niederlage nötig, soll Napoleon gesagt haben. Ich erlebte in diesen Minuten beides gleichzeitig. Lachen und Weinen - Zucker und Salz.
Ich trank und versuchte, die Waage ins Lot zu bringen, aber die Liebe wog stärker als Hélènes Tod. Petrus Cocquéreau, der Mann mit dem weichen Herzen, begann vor Ohnmacht und Gram zu zittern. Wieder musste er sich der Wahrheit stellen, dass seine Gabe fluchbeladen war. Die Schatten, die sie brachte, waren dunkler als das Licht hell. Eine gelungene Suggestion war nie so gut, wie eine mißlungene schlecht war.
Es gibt kein Glück für dich, dachte ich. Geh nach Hause – und mach es wie Madame Berchod.
»Ich weiß, was Ihnen durch den Kopf geht, Monsieur Petrus. Daran, dass Sie schweigen und sich nicht gehen lassen, beweisen Sie Größe. Lassen Sie uns ein Arrangement treffen: Ich wünsche mir von Marie-Thérèse nur das, was Sie mir – unabsichtlich – genommen haben. Ein Kind. Dann ist sie frei für Sie. Einverstanden?«
»Sie haben soeben meine Liebe beleidigt, Graf.«
Der Comte erhob sich ich ebenfalls. Die Blicke, mit denen wir uns maßen, waren die zweier spanischer Granden aus alter Zeit. Niemals hätte ich für möglich gehalten, dass es soweit kommen würde: Morgen würden der Comte und ich uns um Marie-Thérèse schlagen.
Ich bezog eines der Gästezimmer und schlief tief und traumlos.
Ein Klingeln erklang wieder und wieder. Es kam näher, rieselte über mein Haupt, kitzelte, lächelte, drohte. Weihrauchduft umfing mich, aber auch der Geruch von Rasierseife und Schweiß.
»Wachen Sie auf!«
Die Glocke war schrill. Hippolyte hielt sie mir direkt ans Ohr.
»Monsieur Abbé wünscht Sie zu sprechen.«
Ich war sofort hellwach. Hippolyte, rasiert und korrekt gekleidet, trat ans Fenster und zog die Vorhänge auf. Es war noch früh, aber bereits hell. Er trug einen Morgenmantel über dem Arm und sagte dem Priester, der im Türrahmen stand, er könne dem Abbé mein Kommen melden: »Monsieur Cocquéreau wird in fünf Minuten bei ihm sein.«
»Ich danke Ihnen, Hippolyte. Sie hätten auch anders handeln können.«
»Nein. Es wäre Sünde gewesen. Denn nun ist wirklich Zeit: Alles Fleisch ist wie Gras und die Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen.«
»Marie-Thérèse – sie wacht?«
»Nicht mehr. Er und sie haben vergangene Nacht ihre Sache abgemacht. Sie ist bereits wieder auf ihrem Zimmer.«
»Hippolyte – ich muss sie vorher sehen. Unbedingt.«
Er trat zurück und maß mich mit kritischen Blicken. »Mein Herr wird mich auf der Stelle entlassen, wenn er es erfährt. Ich erlaube es nur, wenn Sie mir als Ehrenmann, der Sie in den Augen meines Herren sind, schwören, dass Sie sonst dem Wunsch von Monsieur Abbé nicht entsprochen hätten.«
»Hippolyte! Ich schwöre es! Warum aber, um Himmels willen sind Sie so förmlich! Warum müssen Sie Ihren guten Kern mit Füßen treten?«
»Weil ich ein zu weiches Herz habe, Monsieur Cocquéreau.«
Unter
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