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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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anderen Umständen wäre ich in schallendes Gelächter ausgebrochen, doch Hippolyte sah nicht so aus, als habe er sich mit einer selbstironischen Bemerkung schmücken wollen.
    Marie-Thérèse tropfte sich Baldriantinktur in ein Glas Wasser, als Hippolyte die Tür öffnete. Ein flüchtiger Blick von mir genügte und ich wusste: Abbé de Villers hatte sich ihr nicht offenbart.
    »Ich darf deinen Onkel sprechen.«
    »Ich weiß. Er hat etwas auf dem Herzen.«
    Abbé de Villers lag da wie tot, bot das Bild eines gerade in seinen Kissen Verschiedenen: Der Kopf war nur noch Schädel, die Haut darüber verblichenes Pergament. Sein Mund stand einen Spalt offen, die geschlossenen Augen wirkten wie eingedrückt. Allein sein leise röchelnder Atem tat kund, dass er noch lebte. Überrascht stellte ich fest, dass es weit mehr nach Eukalyptus roch als nach Weihrauch: Hippolyte hatte sich meinem Rat nicht verschlossen.
    Ich setzte mich ins Fauteuil neben das Kopfende des breiten hohen Betts.
    Abbé de Villers blinzelte. »Schick alle weg.«
    Die Stimme zischte wie eine durch die Luft fahrende Peitsche.
    Der Priester und Hippolyte verbeugten sich und verließen den Raum. Draußen sangen die Drosseln, und die bordeauxroten Fenstervorhänge tauchten das Sterbezimmer in ein mystisches Licht. Es hätte der Kerzen nicht bedurft, auch nicht des Schrankaltars, der in einer Zimmerecke stand und das Bild einer kitschigen Madonna mit Kind zeigte.
    »Was weisst du?«
    »Marie-Thérèse ist Ihre Tochter.«
    »Ich fürchte ihren Zorn, Petrus. Deshalb wirst du es ihr sagen.«
    »Ja.«
    »Sie wird Joseph ein Kind schenken. Du wirst bis dahin warten.«
    Ich schwieg. Abbé de Villes Sinne jedoch waren wach und scharf. Das Pergament seiner Stirn kräuselte sich und demonstrierte Unwillen. »Du wirst warten«, wiederholte er ungeduldig. »Schwöre es bei deiner Liebe.«
    »Nicht vor Gott und dem Angesicht des Todes?«
    »Gott entspringt unseren Köpfen. Die Liebe unseren Herzen.«
    »Ja.«
    »Gut.«
    Wer war schlauer? Ich oder Abbé de Villers? Mein „Ja“ bezog sich schließlich nicht auf seine Forderung, ich solle schwören - sein „Gut“ aber klang und wirkte, als ahne er, dass jenseits dieses Zimmers eine letzte Entscheidung anstand, die seinen Plänen zuwiderlief.
    »Was geschah im Baratschen Pensionat? Marie-Thérèses Augenleiden nahm dort seinen Anfang.«
    »Meine Schuld. Unsere.«
    »Unsere?«
    »Ihre Mutter … Wir besuchten Marie-Thérèse im Kloster. Der Abschied … es war zuviel Gewalt. Ihr Schreien … ihre Angst … man hielt sie fest … und als sie die Hände ausstreckte und die Nonnen …«
    Der Abbé bäumte sich auf. Sein Röcheln ging in ein Flattern über, das klang, als klatsche ein nasser Lappen auf Stein.
    »Abbé! Warum deine Härte zu Juliette! Wolltest du dich rächen? Weil ich … weil ich mit deiner Stiefschwester schlief? Warum, Balthasar?«
    Ich ließ alle Rücksicht fahren und sprang auf. Ich wollte den Abbé schütteln, auf dass er mir in seinen letzten Atemzügen noch antwortete. Ich hätte ihn geschlagen, geohrfeigt, gewürgt. Doch nichts davon war nötig. Abbé Balthasar de Villers hervorquellende Augen, in denen sich das Entsetzen mit der Schärfe zerspringenden Glases spiegelte, enthoben mich aller Zweifel. Er starb an Eifersucht, die seine Seele in den Sekunden des Sterbens mit Grauen und Hass beschmutzte. Wie von hinten gestoßen, bäumte er sich ein letztes Mal auf, den Mund zu einem Fluch geöffnet, an dem er erstickte.
    Seine Augen brachen.
    Ich schloss sie, verzieh ihm und betete ein Vaterunser. Anschließend legte ich seine Hände zusammen, ordnete die Kissen und zupfte die Bettdecke zurecht. Große Müdigkeit überfiel mich. Ich setzte mich ins Fauteuil und schloss die Augen. Das Glühen der Fenstervorhänge drang durch die Lider. Drosseln und Finken lärmten.
    Der Klügere gibt nach, dachte ich, bevor ich eindöste. Der Klügere gibt nach …
    Aufgeregte Stimmen, schnelle Schritte, Stiefelscharren. Die Tür flog auf. Hippolyte und der Priester platzten in das Rot des Totenzimmers wie zwei lärmende Raben.
    »Um Himmels willen! Sie schlagen sich. Mit scharfen Waffen! Kommen Sie! Tun Sie was!«
    »Wer schlägt sich?«
    »Mein Herr und Baron Philippe!«
    »Wecken Sie sofort Marie-Thérèse!«
    » Ja.«
    »Und schaffen Sie Verbandszeug herbei!«
    Das Klirren der Floretts drang durch Flure und Türen. Ich befürchtete das Schlimmste. Sowohl für den Comte als auch für Philippe. Besonders allerdings für

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