Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
Gleichnis zuschrieb.
»Da war ein prächtiges Kornfeld. Doch jetzt ist es zerwühlt und niedergemäht, von Regen und Hagel verheert. Seine zerschlagenen Halme liegen kreuz und quer am Boden, die schweren reifen Ähren fallen in den Schmutz. Schwärme von Vögeln stürzen sich auf die vernichtete Ernte, hüpfen in den nassen Strohriefen herum und wirbeln Korn auf. Die Sonne aber scheint hell. Es ist wolkenlos und die Plünderung erscheint wie ein Spiel. So fühle ich mich, Petrus. Verstehst du? Ich bin das Kornfeld. Und die Vögel meine Anfechtungen.«
Darauf ging er.
Und ich? Warum sagte ich ihm nicht die Wahrheit? Die Antwort war so banal wie grausam: Sie hätte Philippe nichts mehr genutzt. Und ihn damit zu trösten, war zu kompliziert und zu anstrengend.
Mein Hirn aber begann zu zaubern. Vielleicht hatte Philippe mich angesteckt? Solange er im Raum stand, war ich blockiert, quasi empfindungslos. Nun aber kehrte das Leben zurück und nahm den Kampf gegen den Kater auf – und dies ausgerechnet mit einer erotischen Vision: Darin hörte ich, wie Marie-Thérèse nach Luft rang, während in ihren Augen Kristalle wuchsen, deren Kern flüssige Glut war. Ihr Puls hämmert, und ihr Herzschlag gleicht einem Trommelwirbel. In ihrem Bauch murmeln Quellen. Sie schwebt mir entgegen, und ihre Lippen öffnen sich zu einem Kuß. Ihre Zunge peitscht mich, dass ich erbebe, schon ruht meine Hand auf ihrem geschmeidigen Schoß. Ich berühre die Böschungen, lasse mich auf ihrer Straße treiben. Meine Finger beginnen zu rutschen, finden Halt in einem unebenen Gewölbe, einem seidigen Kokon. Damit ich mich in seinem Dunkel zurecht finde, beginnt er von innen zu schimmern und für mich zu schaukeln.
Sie sagt: Alles.
Ich antworte, indem ich meine Arme unter ihren Rücken schiebe, sie aufrichte und an mich drücke.
Ihr Kokon gehört mir.
Mein Erschauern ihr.
Die Vision war zu Ende. Der kleine Tod hatte sein Festmahl gehabt.
Ich begann zu weinen, schwemmte den Kater aus mir heraus.
Gegen zehn Uhr abends war ich soweit wiederhergestellt, dass ich mich in die Rue de Bretagne aufmachen konnte. Eigentlich hatte ich erwartet, mir allmählich das Verdienst oder Vertrauen erworben zu haben, sofort zum Comte oder Marie-Thérèse geleitet zu werden – aber nein, erst hieß es im Marmorfoyer wieder: Monsieur, bitte geruhen Sie, Ihre Karte abzugeben und sich noch ein klein wenig zu gedulden.
Geringschätzend lächelnd öffnete Hippolyte die Tür des Empfangssalons. Als wolle er mich verhöhnen erging er sich in einer einladenden Geste, trat zur Seite und stellte sich in Spalier: »Sie kennen den Weg?«
»Wenn ich mich nicht täusche, gibt es hier eine Treppe, nicht wahr? Und Zimmer mit Türen … also die Beine sind zum Gehen da und die Hände für die Türklinken. Aber was mach ich, wenn die Türen geschlossen sind? Nein, Hippolyte, da hab ich Angst. Führen Sie mich bitte.«
»Es wird mir ein Vergnügen sein, Monsieur Cocquéreau.«
Der Comte spielte Billard, gegen oder mit sich selbst, konzentriert, beschäftigt, vergnügt. Zum einen sprach er dabei offensichtlich gut dem Cognac zu, zum anderen durfte er sich einer Zuschauerin, beziehungsweise Zuhörerin erfreuen: Marie-Thérèse. Sie trug ein schneeweißes Kleid und saß in einem Leder-Fauteuil. Die Hände im Schoß gefaltet, war ihre Haltung die der stummen Dulderin. Nie werde ich dieses Bild vergessen können. Demütig staffierte ein Engel das Kabinett aus, während die Krone der Schöpfung, der Mann von Welt, sich bei einem entspannenden Spiel vergnügt. Die Augen zusammengekniffen, zielte Comte de Carnoth auf ein Doppelapproché, während Marie-Thérèse in ihrem strahlenden Unschuldskleid still zu ertrinken schien.
Auf ein solches Wiedersehen war ich schlicht nicht vorbereitet. Andererseits – ich war überhaupt nicht vorbereitet. So oder so, selbst wenn die Begegnung unter anderen Umständen stattgefunden hätte. Mein Herz krampfte sich zusammen. Worte fand ich keine, doch die Sehnsucht ließ mich auf Marie-Thérèse zusschreiten. Ich fiel vor ihr auf die Füße und umFasste ihre Knie, die ich küsste.
»Parfaitement.« Die Kugeln knallten. Eine rollte in die Tasche. Es rumpelte. Dann war es still. »Sie benehmen sich, als liebäugelten Sie damit, die goldenen Zeiten der Minnesänger wiederbeleben zu wollen, Monsieur Petrus. Hat Sie unsere Einladung so erschüttert? Ich ging davon aus, dass Sie die Anspielungen unseres letzten Treffens bereits entsprechend interpretiert
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